Prien – Dass Priener Schüler nach Valdagno oder Graulhet fahren, um Gleichaltrige kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen, hat Tradition. Valdagno ist in gut vier Stunden mit dem Auto erreichbar, Graulhet mit einem gut dreistündigen Flug nach Toulouse. Indien aber ist nicht gerade um die Ecke – und auch eine ganz andere Welt. 23 Priener Gymnasiasten sind in sie eingetaucht.
Hitze, fremde Gerüche und Geräusche, ein wuseliges Durcheinander von Autos, Lkw, Karren, Menschen: „Wow“ – So klingt die Zusammenfassung dieser ersten Eindrücke vor dem Flughafen aus dem Mund von Georg Zinsser. Er war einer der knapp 23 Schüler des Ludwig-Thoma-Gymnasiums (LTG) aus achten bis zehnten Klassen, die für zwei Wochen auf den indischen Subkontinent reisen durften. In andere Worte ist die Erinnerung an die Ankunft kaum zu fassen. Der Jugendliche war schlichtweg „erschlagen“, erzählt Georg rückblickend der Chiemgau-Zeitung.
Im Juni waren 23 Schüler des Mayo Colleges in Ajmer, einer Stadt mit gut einer halben Million Einwohnern im Nordwesten Indiens, in Prien (wir berichteten). Beim Gegenbesuch standen im abwechslungsreichen Ausflugsprogramm nun statt des Fußballtempels Allianz Arena echte Hindu-Tempel und vieles mehr. Die Priener Jugendlichen bekamen nicht nur das Tadsch Mahal und ähnliche berühmte Bauwerke zu sehen, sondern kamen bei Ausflügen auf Märkte auch in Kontakt mit Einheimischen und sammelten Eindrücke vom echten Indien abseits der Touristenströme. Die stundenlangen Fahrten im ungefederten Bus über nicht asphaltierte Pisten gehören zu den bleibenden Erinnerungen.
Zustande gekommen ist der Kontinente überspannende Austausch dank der Kontakte von LTG-Oberstudiendirektor Christian Metken zu einer anderen indischen Schule an seiner früheren Wirkungsstätte in Straubing. Das indische Generalkonsulat klopfte deshalb beim LTG an, als das Mayo College in Ajmer auf der Suche nach einer Partnerschule in Deutschland war. Deshalb wurde die Kontaktaufnahme auch großzügig finanziell gefördert.
23 Priener Gymnasiasten meldeten ihr Interesse für das zweiwöchige Abenteuer an – und alle durften mitfliegen. Die indischen Schüler hatten sie Monate zuvor schon als Gastgeber in den Häusern und Wohnungen ihrer Eltern kennengelernt. Den indischen Buben brachten die Priener Schafkopfen bei, einige der asiatischen Schüler saßen zum ersten Mal auf einem Fahrrad. Rücksichtnahme war bei Essen gefragt, die meisten Hindus essen nämlich aus religiösen Gründen kein Fleisch, erklärt LTG-Schülerin Johanna Westermeyr.
Vor dem Gegenbesuch beschäftigten sich die Priener Gymnasiasten im Unterricht intensiv mit ihrem Reiseziel. Die begleitenden Lehrerinnen Dorothea Hornschuch und Dr. Kerstin Peters fütterten sie mit vielen Informationen über Land und Leute, Sitten und Gebräuche. Pater Joshy von der katholischen Pfarrgemeinde Prien kam eigens zweimal ans LTG, um von seinem Heimatland zu erzählen.
Trotz aller Theorie war die Wirklichkeit dann doch noch einmal etwas anderes. Manche Priener Schüler drückten sich ein ums andere Mal im Bus die Nasen an den Scheiben platt, um möglichst viele Eindrücke aus der fremden Welt mitzunehmen. Sie sahen nicht nur Tempel und Paläste, sondern auch Müllberge am Straßenrand und Armut. Johanna Westermeyr hat sich zum Beispiel das Bild einer Inderin eingeprägt, die „mit fünf Kartoffeln und drei Karotten“ auf einem Markt auf dem Boden saß, um ihre spärliche Ernte zu Geld zu machen.
Dass sich die jungen Leute aus Oberbayern gut aufgehoben fühlten, dafür sorgten die rührigen Gastgeber. Im College, wo Schuluniformen und streng getrennte Bereiche für Mädchen und Buben auf Anhieb deutlich machen, wie diszipliniert und reglementiert die Abläufe sind, bekamen die Gäste einen Eindruck, was strenge Lehrer und Regeln sein können. Der Tag am Mayo College beginnt um 5.30 Uhr mit einem Morgenläuten. Und es kann zum Beispiel vorkommen, dass ein Lehrer seine Klasse mal sonntags um 20 Uhr einbestellt, wenn er Lernstoff vertiefen oder ergänzen möchte.
Eines von vielen Beispielen für die großen Unterschiede: Als die Priener Schülerinnen an einem Tag ihre extra mitgebrachten Dirndl trugen, meinten die Inderinnen, das seien die hiesigen Schuluniformen, erinnert sich Johanna Westermeyr.
Dem Unterricht konnten die Priener gut folgen, da er grundsätzlich in Englisch gehalten wird und der Stoff im Vergleich zu bayerischen Maßstäben etwas leichter ist, wie Georg Zinsser festgestellt hat. Die indischen Schüler seien sehr diszipliniert und hätten, obwohl gerade erst im Teenageralter, meist schon klare Vorstellungen von ihrer Zukunft – was auch damit zusammenhängen dürfte, dass das Mayo College eine Eliteschule ist und nicht umsonst „The Eaton of the East“ genannt wird. Eaton in Großbritannien gilt als eine der besten Universitäten überhaupt.
Aus dem ersten indisch-oberbayerischen Kennenlernen in diesem Jahr soll nun ein regelmäßiger, jährlicher Schüleraustausch werden. Das Ludwig-Thoma-Gymnasium will möglichst vielen seiner Schülerinnen und Schüler solch internationale Erfahrungen ermöglichen. Oberstudiendirektor Metken bereitet schon ein Austauschprogramm mit einer Schule in den USA vor, verriet er der Heimatzeitung. db