Seebruck – Er ist verantwortlich für die Speisekammer, den Weinkeller, das Esszimmer und hat das weitere männliche Personal unter sich. Die von ihm betreute Adelsfamilie und der gute Ruf des Hauses sind sein Lebensinhalt. Charles Carson, Butler in „Downton Abbey“, hatte noch ein klares Anforderungsprofil. Doch die britische Erfolgsserie spielt Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Butler von heute muss alles können, auf alles gefasst sein und darf sich von nichts aus der Fassung bringen lassen.
Er ist Allrounder, Berater, Manager. Statt den Gärtner anzuweisen, wo er die Rosen einpflanzt, holt er sich schon mal selbst schmutzige Finger. Auch darf er sich für nichts zu schade sein. Und sei es, einem „Handtaschenhündchen“ zweimal am Tag das ärztlich verordnete warme Diätfutter zu kochen. Ein leichtes Schmunzeln kann sich Harry Hömpler nicht verkneifen, als er an dieses Hündchen zurückdenkt. Die Diskretion wahrt er freilich, verrät nur, dass er damals für eine Familie in München gearbeitet hatte.
Understatement: Anzug statt Frack
Ein Allrounder muss man als Butler heute sein, sagt Hömpler. Er muss es wissen, denn er sorgt in seiner Butlerschule in Seebruck am Chiemsee dafür, dass der Nachwuchs das nötige Rüstzeug hat. Als er sie vor sieben Jahren eröffnete, so erklärt er, gab es weltweit sieben Schulen. Inzwischen sind es 32.
Ende des Zweiten Weltkriegs war der Beruf vom Aussterben bedroht, in den 70er-Jahren kam die Renaissance, und jetzt boomt die Branche. „Die drei Prozent der Weltbevölkerung, der 95 Prozent des Vermögens gehören, leisten sich Personal“, weiß Hömpler.
4000 bis 5000 Privathaushalte, so schätzt der 63-Jährige, leisten sich in Deutschland einen Butler. Oft aber sei der nach außen hin gar nicht als solcher zu erkennen. Denn statt Frack, Fliege und weißen Handschuhen seien im Alltag Businessanzug oder gepflegter Freizeitlook gewünscht. Zudem böten europaweit immer mehr Hotels Butlerdienste an.
Rund 15 Nachwuchsbutler wird Hömpler dieses Jahr am Chiemsee ausbilden. Die angebotenen Trainingsmodule sind wohlgegliedert und allumfassend: Haustechnik in High-Class-Villen, die richtige Lagerung von Antiquitäten, Wein-, Digestiv- und Champagnerkunde, der Umgang mit Titeln und Royals, Jagd- und Waffenkunde, aber auch Mediation, Finanzverwaltung und Gedächtnistraining gehören dazu – und vieles, vieles mehr.
Im Schulungsraum werden Theorie und Fachbegriffe aus der Welt der Gastronomie gepaukt. Zum Praxistraining geht es in Schlösser oder führende Hotels der Region. Dann wird im passenden Ambiente geübt, wie ein Tisch eingedeckt oder ein Koffer effektiv ein- und ausgepackt wird.
Fast die Hälfte der Jung-Butler sind heute Frauen – Butleresse ist die weibliche Form. Und jung ist der Nachwuchs nicht unbedingt. Viele, so Hömpler, kommen aus der Gastronomie und entwickeln in ihren 30ern oder 40ern ein „Bewusstsein, dass sie mehr können als Servieren“. Und auch dafür, das sie deutlich mehr verdienen können. Sind die Einstiegsgehälter von rund 4000 Euro schon nicht schlecht, gibt es nach oben kaum Grenzen.
Doch anders als das längst verstaubte Faktotum britischer Serien lebt der Butler von heute nicht zwangsläufig für und bei seinem Arbeitgeber. Mittlerweile erlaubt der Beruf ein Familien- und Privatleben. Selten geworden seien die Stellenanzeigen, in denen ausdrücklich ein lediger Butler gesucht wird. „Das ist höchstens der Fall, wenn es viel auf Reisen geht. Da ist es unpraktisch, wenn der Papa immer weg ist“, erzählt der Seebrucker.
Mit Hildegard Knef durchs Nachtleben
Als er vor fast 50 Jahren seine Lehre in der Gastronomie begann, waren die Zeiten noch anders. Der Vater, ein Großgastronom in Bremerhaven, hatte ihn zu einer Ausbildung im exklusiven Parkhotel in Bremen überredet. Mit Anfang 20 fing er im „Kempinski“ in Berlin an, wo er bald schon einen Spezialauftrag hatte: sich um Hildegard Knef kümmern. Gerne erinnert er sich daran, wie er sie durchs Berliner Nachtleben chauffierte. „Meine Hildegard“, sagt er, fast liebevoll. Mit Dirigent Herbert von Karajan lag er sogar schon mal unter dessen Bett. Freilich nur auf der Suche nach den Manschettenknöpfen.
Doch der Weg bis zum Butler war damals noch weit und alles andere als geradlinig. Zunächst wechselte er in die Modebranche, kümmerte sich um Kundenbetreuung und Vertrieb bei einem großen Münchener Modehaus. Mitte der 80er-Jahre machte er sich mit Karrieretrainings selbstständig, vermarktete dann im Internet Hotels.
In Service-Defiziten fand er eine Marktlücke, buchte zum Beispiel Tische in eigentlich vollen Restaurants und stöberte Karten für ausverkaufte Veranstaltungen auf. Irgendwie entwickelte sich daraus ein Butlerfullservice, der heute noch eines seiner Standbeine ist. Ein Kernteam aus Fachkräften wird für unterschiedlichste Dienste vermittelt: für die Hochzeit oder Firmenfeier zum Beispiel. Ein wenig Luxus für kurze Zeit schnuppern kann sich übrigens auch ein Normalverdiener leisten: Drei Stunden Butlerdienst gibt es für 149 Euro – zum Beispiel für ein „Dinner for one“.
Selbst aktiv im Einsatz ist der 63-Jährige nicht mehr so oft. Für Firmenveranstaltungen wird er in ganz Deutschland gebucht. Zu seinem festen Kundenstamm im Chiemgau gehören drei „ältere Ladies“, wie er sagt, für die er die Haushaltsorganisation übernimmt: Termine mit Handwerkern und dem Gärtner vereinbaren, Fahrten zum Arzt, Überwachung der Medikamenten-Einnahme. Eine von ihnen ist die eigene 87-jährige Mutter; sie hat ihren eigenen Butler, und gratis noch dazu.
Hartnäckig hält sich das Bild des piekfein gekleideten Zeitung bügelnden Hausangestellten in den Köpfen. Einige Hotels, so weiß der Fachmann, bieten diesen Service immer noch. Aber primär als Showeffekt, denn das Problem mit der abfärbenden Druckerschwärze, die es herauszubügeln gilt, hat sich erledigt.
Harry Hömpler – übrigens kein Künstler-, sondern sein Taufname – hat viel erlebt: Er hatte in prächtigen Villen in Abwesenheit der Hausherren die Haustechnik im Griff. Er verbrachte einen Monat bei einer Pfarrersfamilie in der Schweiz, die seine Dienste bei einem Gewinnspiel gewonnen hatte. Er servierte Roberto Blanco ein Glas Sekt (beim Sportlerball in Wiesbaden) und betreute Michael Jackson (als Elf- oder Zwölfjähriger mit den „Jackson Five“ in Berlin).
Tankstellen-Fahrt
eine Herausforderung
So richtig ins Schwitzen gebracht hat ihn sein Beruf erst einmal. Rund eineinhalb Jahre ist das her. Da sollte er den knapp 500000 Euro teuren Mc Laren Mercedes seines Auftraggebers mal eben auftanken. Heilfroh, so erzählt er, sei er gewesen, als die 626 PS unbeschadet und mit vollem Tank wieder in der Garage standen.
Mit der Polizei hatte er in seiner Karriere als Butler nur einmal zu tun. Auf einem runden Geburtstag in Grünwald wurde Wein getrunken. Sehr guter Wein, und sehr viele Flaschen davon. Der kompetente Mann im Service muss von jeder vor dem Servieren kosten, ob der edle Rebsaft auch ja nicht korkt. Ein paar Tröpfchen nur, aber den Polizisten, die auf dem Heimweg sein Auto zur Kontrolle anhielten, konnte er guten Gewissens sagen, er habe rund 80 Flaschen Wein verkostet. Er war nüchtern und durfte weiterfahren, die jungen Polizeibeamten waren nachhaltig erheitert.
Mit 63 Jahren ist der Seebrucker auf der Suche nach einem Nachfolger, der die Butlerschule in seinem Sinne weiterführt. Genügend derer, die er ausgebildet hat, hätten das Zeug dazu. Allein sie scheuen die Verantwortung und den, laut Hömpler, zwölf- bis 15-Stunden-Tag, zu dem auch die Pflege der Sozialen Netzwerke gehört – dem „Downton Abbey“-Faktotum Carson stellen sich vermutlich gerade diskret einige Nackenhaare auf.
Sollte sich kein Nachfolger finden, denkt Hömpler darüber nach, die Schule eventuell in eine Stiftung zu überführen. Das Wissen aus seinem langen Berufsleben will er weitergeben. Das ist ihm wichtig. So gibt er ab dem Sommer auch ehrenamtlich Kurse bei „Die goldenen Schlüssel“, dem Berufsverband der Hotelportiers. Denn der Portier und der Butler haben so einiges gemein, und viele Butler waren zuvor Portier.
Kein Zögern gibt es auf die Frage, was denn einen guten Butler ausmacht: „Zurückhaltung. Er darf kein Selbstdarsteller sein, muss einen Hang zum Dienen haben. Vor allem aber immer hellwach sein und ein großes Wissen in vielen Bereichen haben.“ Loyalität und Diskretion verstehen sich von selbst. „Wer nicht verschwiegen ist, der kann auch nicht als Butler arbeiten“, das steht für Hömpler fest. Ein wenig ist die Zeit also doch stehen geblieben. „Some things never change“ hört man im Geiste den guten Mortimer sagen, ein hauchdünnes Pfefferminztäfelchen anbietend.