Der Visionär und die Bäuerin

von Redaktion

Der Traum vom großen Singen: Wie in Kiefersfelden aus 70 Laiensängern ein Konzertchor gebildet wird

Kiefersfelden – Wenn etwas „ganz Großes“ entstehen soll, braucht man zuerst einmal einen, der eine Vision hat. In diesem Fall ist das Christof Danner, Bezirksmusikdirigent, Leiter der Rohrdorfer Blasmusik und Kirchenchorleiter in Kiefersfelden. Das erste ganz große Konzert mit über 120 Mitwirkenden lief 2016 über die Bühne und nun wird zum vierten Mal ein großes Chor- und Orchesterkonzert organisiert. Da wird aus dem Kiefersfeldener Kirchenchor quasi über Nacht ein großer „Konzertchor Oberes Inntal“ und die Sängerinnen und Sänger kommen sogar aus Rosenheim, um bei diesem Projekt mitzuwirken. „Keine Angst, keiner muss vorsingen“, steht in der Einladung zum Mitsingen, und die haben jede Menge Sängerinnen und Sänger angenommen. „Wir haben den Probenraum im Pfarrheim mal mit 50 Plätzen hergerichtet, ich bin überwältigt, dass es jetzt über 60 geworden sind“, sagt Margret Pirchmoser, Bäuerin aus Kiefersfelden, die an der Seite von Christof Danner für das Großprojekt mitverantwortlich ist.

Die „Gute Seele“
im Management

Jeder Visionär braucht auch so etwas wie eine „Assistentin“, eine „Gute Seele“, die um ihn herum alles managt, von der Adressenverwaltung der Sängerinnen und Sänger bis zur Kommunikation, den Schriftverkehr, das Geldauftreiben. Dafür ist die 44-jährige gelernte Bankfachfrau prädestiniert, denn mit Geld kennt sie sich aus. „Allein im Vorfeld haben wir schon 4000 Euro für Noten et cetera ausgegeben, und es wird bestimmt noch mehr“, so Danner.

Die 60 Instrumentalisten, die für das Konzert im Oktober benötigt werden, spielen alle ehrenamtlich, vielleicht mit einem kleinen Fahrtkostenzuschuss, wenn sie von weiter her kommen.

Es ist Montag, der 10. März 2025, 20 Uhr, die erste Probe des Konzertchors „Oberes Inntal“. Margret Pirchmoser steht am Eingang des Pfarrsaals, begrüßt ihre Freunde aus dem Kirchenchor und neue Sängerinnen und Sänger, zum Teil alte Bekannte, die schon in vorherigen Projekten mitgewirkt haben. Wie zum Beispiel Magdalena Astner, Musiklehrerin an der Realschule Brannenburg. Sie holt sich die Noten für die anstehenden Werke und studiert sie gründlich. Sie sei schon zum dritten Mal dabei und freue sich auf die große Chormusik. Sie leitet neben ihrer Tätigkeit als Musiklehrerin einen Grundschulchor und weckt damit die Begeisterung für zukünftigen Chorgesang.

Nachdem jeder einen Platz in seiner Stimme gefunden hat, stellt sich Margret Pirchmoser als „Mädchen für alles“ vor. Sie brauche von jedem die E-Mail-Adresse, die Stimme und so weiter. Jede Menge Listen zum Ausfüllen. Sie ist seit zehn Jahren Mitglied im Kirchenchor und mittlerweile Vorstand. „Bei der ersten Probe hab ich mich mal ganz nach hinten gesetzt, da ich keine Ahnung vom Chorsingen hatte“, so die 44-Jährige. „Obwohl ich schon seit zehn Jahren in Kiefersfelden am Gachenhof war, war ich irgendwie keine echte Kiefererin.“ Eine Freundin habe sie wie eine Patin mit zum Kirchenchor genommen, wo sie mit offenen Armen empfangen wurde. „Über den Kirchenchor und das Singen bin ich hier angekommen“, sagt die in Pang aufgewachsene Bäuerin. „In unserem Kirchenchor ist es egal, woher man kommt und was man glaubt. Alle werden integriert.“

Der Chor steht zum Einsingen auf. Josef Hacklinger aus Niederaudorf begleitet die Proben am Klavier und macht die Einsing-Übungen. Da hört man es schon, lauter gute Sängerinnen und Sänger, die mit großer Leidenschaft dabei sind. Der Jüngste von ihnen ist der zwölfjährige Jakob Rosenlehner, er singt bereits seit einem Dreivierteljahr mit Begeisterung Tenor im Kirchenchor und freut sich auf sein erstes großes Chorkonzert im Oktober.

Jetzt wird es ernst. Christof Danner erklärt eines der Stücke des Programms. Das hat er klug gewählt, ein Ohrwurm, „Sogno di Volare“ von Christopher Tin. Es ist eine Vertonung der Schriften Leonardo da Vincis zum Thema Fliegen ins moderne Italienisch. Ursprünglich wurde es als das musikalische Hauptthema für das Videospiel „Civilization VI“ komponiert. Dieses Stück basiert auf dem Konzept des Erforschens: sowohl physisch in der Suche nach neuem Land als auch intellektuell in der Suche nach den Grenzen von Wissenschaft, Technologie und Menschlichkeit.

Übertragen auf einen Chor könnte man sagen: die Grenzen des Machbaren oder Singbaren. Christof Danner ist diesbezüglich sehr entspannt. „Ich weiß, dass es eine Art Harakiri ist, was wir hier machen, aber das wird gut, das war noch immer so.“ Voraussichtlich wird es also nicht zu einer „rituellen Selbsttötung“ kommen, was der Begriff Hara-Kiri, der aus Japan kommt, eigentlich bedeutet. Schlecht vorstellbar, bei so positiv eingestellten Menschen wie Margret Pirchmoser und Christof Danner!

Josef Hacklinger spielt ein paar Takte auf dem Klavier, der Chor setzt ein. „Una volta che avrai…“, frei übersetzt: „Immer wenn du fliegst, wirst du beschließen, den Blick gen Himmel zu richten, und du wirst wissen, dass dein Herz hier zu Hause ist.“

Viele Sängerinnen und Sänger sind gekommen und „wollten erst mal hören, was hier so läuft“. Eine von ihnen ist Bärbel Köglmeier aus Oberaudorf. „Ich habe in einer Band gesungen, Chorerfahrung habe ich nicht, ich schau’s mir mal an“, sagt sie am Anfang der Probe. Aber mit dem „Traum vom Fliegen“ hat Christof Danner zumindest musikalisch ihr Herz erobert und am Ende sagt sie: „Ja, da mach‘ ich mit.“

Für Margret Pirchmoser wartet jede Menge Arbeit. Schließlich steht sie als Bäuerin um 5 Uhr früh auf, kümmert sich um die 25 Kühe und ihre vier Töchter, den Ehemann Sepp und den Bauernhof. „Bäuerin zu werden, war die beste Entscheidung meines Lebens, ich bin das wirklich sehr sehr gern.“ Genauso sieht sie ihre Aufgabe als Kirchenchorvorstand und jetzt an der Seite von Christof Danner im Konzertchor Oberes Inntal. „Als Bäuerin hat man auch sehr viele Freiheiten, so kann ich dieses Ehrenamt mit großer Leidenschaft erfüllen.“

Einsatz eine
echte Bereicherung

Sie schätzt, dass da schon so um die fünf Stunden pro Woche zusammenkommen, und bestimmt werden es im Laufe des Projekts mehr, aber sie empfindet ihre Arbeit als echte Bereicherung und sagt „ich bin schließlich nicht allein“. Es herrsche so viel Unverbindlichkeit im Zusammenleben der Menschen, ihr sei das Ehrenamt von Kindheit an vorgelebt worden und so möchte sie es auch an ihre Töchter weitergeben. „Um mich herum sind so viele Menschen, auf die ich mich verlassen kann“, und so kann sie voller Überzeugung sagen, „durch das Singen ist Kiefersfelden meine Heimat geworden!“

Es gibt jede Menge Studien über das Chorsingen. Eines steht fest: Singen im Chor fördert die körperliche und psychische Gesundheit sowohl im Erwachsenen- als auch im Seniorenalter. Auch, wenn jemand unter einem Beschwerdebild leidet, verbessert regelmäßiges Singen seine Laune und seine Lebensqualität. Forscher fanden sogar heraus, dass Chorsänger beim gemeinsamen Singen nicht nur ihre Stimmen, sondern auch ihren Herzschlag synchronisieren.

Wenn das dann bei einem Monumental-Werk wie „Sogno die volare“ passiert, erfüllt sich nicht nur der Traum vom Fliegen, sondern auch die Steigerung des Zusammengehörigkeitsgefühls, die Stärkung der Gemeinschaft und der Zugehörigkeit und damit ein großes musikalisches Gemeinschaftswerk.

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