Der neue Mitarbeiter in der Hagelabwehr heißt KI

von Redaktion

Interview Forschungsleiter Professor Dr. Peter Zentgraf überzeugt von der hohen Wirksamkeit

Rosenheim – In wenigen Wochen könnte es wieder bedrohlich werden. Wenn die Temperaturen im Frühjahr klettern, steigt in der Region Rosenheim auch das Gewitterrisiko. Wenn die dunklen Wolken aufziehen und die Blitze am Himmel zucken, heben auch die Rosenheimer Hagelflieger ab, um die Region zu schützen. Um die Effektivität des Schutzes auch immer weiter zu erhöhen, wird an der Hochschule Rosenheim seit Jahren mit einem Forschungsprojekt an Verbesserungen gefeilt. Dennoch gibt es auch Stimmen, die an der Wirksamkeit der Hagelabwehr zweifeln. Im Gespräch erklärt der Projektleiter Prof. Dr. Peter Zentgraf, was sich bald bei den Hagelfliegern ändern soll, warum die Abwehr in Rosenheim sehr wohl wirksam ist und welche Fortschritte noch möglich sind.

Die Gewitter-Saison steht bevor – haben Sie schon Sorgenfalten auf der Stirn?

Nein, aber ich bin ein bisschen aufgeregter als sonst, weil wir heuer einige Neuerungen haben. Das betrifft vor allem die Software, da wir uns an eine Umstellung des Deutschen Wetterdienstes anpassen müssen. Auch an der Hochschule müssen wir zum Beispiel die Server-Einstellung ändern. Und das unter dem Zeitdruck, dass die Saison Mitte April losgeht. Die Zeit sitzt uns schon im Nacken, aber ich bin guter Dinge, dass wir das schaffen.

Würden Sie ihr Auto bei Gewitter also draußen stehenlassen?

Der Hagel wird durch die Hagelabwehr ja nicht komplett unterbunden. Wir können ja nur zusehen, dass die Schäden geringer werden. Und wenn die Hagelflieger aufsteigen, hat das meistens auch seine Berechtigung. Deshalb würde ich mein Auto schon in die Garage fahren (lacht).

Sie haben von Neuerungen bei der Hagelabwehr für 2025 gesprochen.

Wir versuchen, dass es bald einen Livestream der Einsätze gibt. Damit wollen wir ein wenig mehr Interesse für die Hagelabwehr wecken und der Bevölkerung ein Gefühl dafür geben, wie der Flug aus der Sicht des Piloten ist. Auch die Roberta-App, mit der die Menschen unter anderem Wetterbedingungen melden können, überarbeitet wird. Was uns vor allem technisch voranbringen soll, ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) bei der Wetterprognose.

Was bringt das?

Wir bekommen im Fünf-Minuten-Takt Messdaten vom Deutschen Wetterdienst. Mit diesen soll die KI dann rechnen, dass wir mit möglichst geringen Fehlern vorhersagen können, wie sich das Gewitter weiterentwickelt. Ob es zum Beispiel über Rosenheim zieht, größer wird oder sich auflöst. Dazu vergleicht die KI die aktuellen Wetterdaten mit früheren Ereignissen und schaut sich an, wie damals der Verlauf des Unwetters war.

Wie verändert das die Hagelabwehr?

Damit könnten wir in die Zukunft schauen. Wenn sich zum Beispiel zur Mittagszeit ein Gewitter bildet, schmeißen wir unser Programm an. So haben wir die Möglichkeit, vorherzusagen, wie sich das Unwetter typischerweise – anhand der Erfahrung aus früheren Ereignissen – in der nächsten halben Stunde weiterentwickelt. Im Endeffekt wäre es dann möglich, dass die Hagelflieger zehn oder 15 Minuten eher starten und das Gewitter bekämpfen, wenn es noch kleiner ist. Zum Vergleich: Das wäre so, als ob man zehn Minuten vorher wissen würde, dass eine Lawine herunterkommt und man schon Maßnahmen zur Schadensbegrenzung einleiten könnte. Die Piloten könnten die heiklen Bereiche effektiver anfliegen, weil sich die Gewitter noch in einem kleineren Wachstumszustand befinden. Da das aber sehr aufwendig ist, rechne ich mit einem Einsatz erst 2026.

Es gibt auch immer wieder Zweifel an der Hagelabwehr – was entgegnen Sie dem?

Ich bin seit 15 Jahren beim Forschungsprojekt dabei und bin überzeugt davon, dass die Hagelabwehr in Rosenheim funktioniert. Ich bin mir sehr sicher, dass eine Wirksamkeit besteht.

Weil?

Wir haben die Flugdaten der Hagelflieger mit den Wetterdaten der vergangenen 15 Jahre verglichen. Dabei haben wir uns die Tage angeschaut, an denen es Unwetter mit Hagel gab und die Hagelflieger geflogen sind und die Tage mit Gewitter, an denen sie nicht in der Luft waren. An Letzteren haben wir natürlich keine Flugdaten. Deswegen haben wir den damaligen Chefpiloten eingeladen, damit er am Computer die Stellen der Wolken anklickt, die er in dem Fall angeflogen hätte. So konnten wir abgleichen, wie sich die Gewitterzelle verhält, wenn die Hagelflieger sie angreifen – oder eben nicht. Man konnte dann sehen, dass das Ansteigen der Gewitter, wenn sie geflogen sind, deutlich geringer war, als wenn sie nicht geflogen sind. Und nicht nur das, auch die Größe der Gewitter war geringer, wenn sie geflogen sind. Die Hagelabwehr in Rosenheim funktioniert – mit einer Signifikanz von 95 Prozent. Dieses wichtige Ergebnis wurde zusammen mit meinem Statistik-Kollegen Prof. Wellisch hergeleitet.

Geht noch mehr bei der Wirksamkeit?

100 Prozent wäre schön. Aber ich glaube, wenn wir mit der KI-Berechnung oder anderen Methoden bessere Vorwarnzeiten haben, könnte es nochmal besser aussehen. Ein Gewitter ist von der Physik her sehr kompliziert und ist noch nicht komplett erforscht. Zum Beispiel, wann und wie Hagel entsteht und wie er ausfällt. Jedes Gewitter ist auch einzigartig und schwierig zu erforschen. Dafür müsste man einen riesigen Bereich am Himmel mit Messdaten versehen. Ohne diese Daten ist es – stand jetzt – noch unmöglich, Hagelunwetter am Rechner ausreichend zu simulieren.

Sind noch technische Verbesserungen möglich?

Vorstellbar ist, dass man das „Innenleben“ der Wolke mit den ganzen Auf- und Abwinden so genau auslesen kann, dass die Piloten das Silberjodid an diesen Stellen noch gezielter und vielversprechender aussetzen können. Um an diese Daten zu kommen, gibt es Überlegungen, dass ein Gerät mitfliegt, das eine Art Wolkenkarte erstellt. Dafür müssen aber mehrere Punkte in der Wolke betrachtet werden können. Bisher funktioniert das nur mit einem Punkt von Wolkenbeobachtungsstationen am Boden.

Da hilft es wahrscheinlich, dass Sie vom Freistaat für die kommenden drei Jahre viel Geld erhalten.

Diese 200000 Euro helfen extrem, da ich damit hoffentlich jemand finde, der mich ein bisschen entlasten kann und wir die bisherigen Forschungsergebnisse aufbereiten und veröffentlichen können. Denn die Forschung zur Hagelabwehr wollen wir an der Hochschule Rosenheim weiter ausbauen.

interview: Julian Baumeister

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