„Ohne ihn wäre ich nicht mehr hier“

von Redaktion

Für Anne Willkommen aus Kolbermoor ist jeder Tag ihres Lebens ein Geschenk. Denn ohne die Stammzellspende eines Fremden würde die 37-Jährige, die an Leukämie erkrankt ist, nicht mehr leben. Zum Weltblutkrebstag am heutigen 28. Mai richtet die Kolbermoorerin daher einen wichtigen Appell an die Menschen.

Kolbermoor – Eigentlich hat sich Anne Willkommen (37) aus Kolbermoor nie viel aus ihrem Geburtstag gemacht. Bis zum Jahr 2022. Seitdem ist der 28. Februar für die junge Kolbermoorerin ein ganz besonderer Tag. Und das, obwohl sie eigentlich im November geboren ist.

Doch der 28. Februar 2022 ist der Tag, an dem ihr ein Fremder ein neues Leben geschenkt hat. Durch eine Stammzellspende. „Ohne diese Spende wäre ich heute nicht mehr am Leben“, sagt Anne, die zum Weltblutkrebstag am heutigen 28. Mai eine wichtige Botschaft an alle Menschen in der Region senden will: „Jeder kann zum Lebensretter werden!“

Plötzlich ständig
schlapp gefühlt

„Irgendetwas stimmt nicht mit mir!“ Davon war die gebürtige Sächsin, die seit 19 Jahren im Raum Rosenheim lebt, überzeugt, als ihr im März 2021 viele Dinge, die ihr früher leicht von der Hand gingen, plötzlich schwerfielen. „Ich war sportlich, bin gerne zum Wandern in die Berge gegangen, habe beim TuS Bad Aibling Volleyball gespielt“, erinnert sich Anne. „Doch plötzlich habe ich kaum mehr Luft bekommen, mich ständig schlapp und einfach nicht fit gefühlt.“ Als sie sich eines Tages in einem Supermarkt mehrmals hinsetzen musste, um nicht umzukippen, ließ sich die gelernte Mediengestalterin bei ihrer Hausärztin Blut für eine Untersuchung abnehmen.

An das Telefonat mit ihrer Hausärztin am 12. März 2021 kann sie sich noch genau erinnern. „Sie rief mich an und empfahl mir, aufgrund meiner Blutwerte ins Krankenhaus zu fahren“, berichtet Anne, der unter anderem die Dringlichkeit in der Stimme ihrer Ärztin noch gut im Gedächtnis ist. Nur wenige Stunden später brach für die damals 33-Jährige dann ihre bisherige Welt zusammen.

„Da bin ich durch die
Hölle gegangen“

„Im Krankenhaus hat mir dann ein Arzt am 13. März gegen 2.30 Uhr mitgeteilt, dass bei mir der Verdacht auf Leukämie besteht.“

„Da zieht es einem natürlich erst mal den Boden unter den Füßen weg“, sagt Anne, der vor allem das Wort „Verdacht“ schwer zu schaffen machte. „Die Ungewissheit ist mit das Schlimmste“, erklärt die heute 37-Jährige. „Mir ist lieber, zu wissen, womit ich es zu tun habe – dann kann ich damit arbeiten.“ Nach weiteren eingehenden Untersuchungen in einem Krankenhaus in München stand dann allerdings schnell fest: Ja, es ist Blutkrebs. Die große Hoffnung der behandelnden Ärzte aufgrund der Risikokategorie Leukämie: den Blutkrebs durch eine Chemotherapie zu besiegen. Eine Zeit, die sich für Anne tief ins Gedächtnis eingebrannt hat. „Die schießen da ja wirklich im übertragenen Sinne mit Kanonen auf deinen Körper, um den Krebs zu vernichten“, sagt die Kolbermoorerin. Was natürlich extreme Auswirkungen auf den ganzen Körper hat – von extremer Übelkeit über Schmerzen bis hin zum Haarverlust. „Da bin ich wirklich durch die Hölle gegangen.“

Mehrmals
dem Tod entronnen

Zumal die Therapie, die erst im August 2022 abgeschlossen war, nur kurzzeitig Wirkung zeigte. Bereits im Oktober dann der Rückschlag für die junge Frau – der Krebs war wieder da. Und mit ihm die belastende Chemotherapie, die der einst so sportlichen Frau fast das Leben gekostet hätte. „Ich musste an Nebenwirkungen wirklich alles überstehen – bis hin zum akuten Nierenversagen“, erinnert sich Anne. „Da gab es eine Woche im Dezember kurz vor Weihnachten, in der ich zwischen den Welten unterwegs war.“ Letztlich sei sie aber „mehrmals dem Tod von der Schippe gesprungen“.

Kraft gegeben haben ihr in dieser schweren Zeit neben ihrer Familie, die mittlerweile größtenteils in ihrer Nähe lebt, vor allem ihre achtköpfige Mädelsclique aus Kolbermoor, die aus eigenem Antrieb heraus in dieser Zeit das „Team Anne“ gegründet und eine Typisierungsaktion für ihre todkranke Freundin ins Leben gerufen hatte, bei der sich rund 1300 potenzielle Stammzellspender registrieren ließen. Was der 37-Jährigen auch heute noch die Tränen in die Augen treibt: „Es hat mir so viel Kraft gegeben. Zu sehen, dass es Menschen gibt, denen ich unendlich wichtig bin, die unbedingt wollen, dass ich noch auf dieser Welt bleibe. Das war für mich so unglaublich wichtig.“

Ihr Lebensretter ist
ebenfalls Skorpion

Dass derartige Typisierungsaktionen wirklich Leben schenken können, konnte die gelernte Mediengestalterin, die zum Zeitpunkt ihrer Diagnose als Produktdesignerin gearbeitet hatte, dann glücklicherweise selbst erleben: Bei einer der vielzähligen Typisierungsaktionen in Deutschland wurde ein passender Spender für Anne gefunden, sodass es für die damals 34-Jährige am 28. Februar 2022 zur Stammzelltransplantation kam.

„Was ich bislang über den Spender weiß ist, dass es ein Mann ist, er seine Spende in einem Entnahmezentrum in Frankfurt abgeben hat und er ebenfalls das Sternzeichen Skorpion hat“, sagt Anne, für die kein Zweifel besteht, dass ihr diese Spende das Leben gerettet hat: „Ohne ihn und seine Spende wäre ich nicht mehr hier.“ Deshalb ist für die 37-Jährige der 28. Februar – der Tag der Stammzelltransplantation – zum zweiten Geburtstag geworden ist.

Wenngleich Anne auch in den Folgemonaten mit weiteren Rückschlägen leben musste. „Ein Jahr hat alles gut funktioniert. Dann sind bei einer Jahreskontrolle allerdings wieder Krebszellen aufgetaucht“, erzählt die Kolbermoorerin. Glücklicherweise aber in einer extrem geringen Dosis, sodass sich Anne zwar weiterhin einer Chemotherapie unterziehen muss, aber in einer deutlich verträglicheren Form. „Die Therapie schlägt gut an – und ich kann wirklich gut damit leben.“

„Gelernt, wie sehr ich
das Leben schätze“

Seit Sommer 2024 hat Anne nun das Gefühl, dass ihr Leben wieder mehr und mehr in geordneten Bahnen verläuft, sie ihr Leben wieder mehr und mehr genießen kann. „Ich kann zwar nicht sagen, dass ich gesund bin. Aber ich kann sagen, dass ich krebsfrei bin“, so die lebensfrohe Frau, die mit dem Ist-Zustand „superzufrieden“ ist: „Ich genieße mein Leben.“ Auch erste Schritte zurück in die Berufswelt hat sie mittlerweile unternommen, fährt tageweise für die Kolbermoorer Konditorei „Kuchenträume“ Torten und andere Leckereien aus.

In ihren bisherigen Beruf als Produktdesignerin will die 37-Jährige, die voraussichtlich nie mehr Vollzeit arbeiten kann, aber nicht zurückkehren. „Ich habe gelernt, wie sehr ich das Leben schätze“, sagt Anne, die die Arbeitswelt, die sie bislang kannte, als „zu oberflächlich“ bezeichnet. „Dafür möchte ich meine kostbare Zeit nicht mehr verwenden.“ Stattdessen möchte sie mit Menschen arbeiten, „etwas wirklich Sinnvolles tun“.

Neuer Verein als
ein „Herzensprojekt“

Und sich ihren „Herzensprojekten“ widmen. Wie beispielsweise dem jüngst in Wasserburg gegründeten Verein „24h gegen Krebs e.V.“ (www.24hgegenkrebs.de), der sich für Krebsprävention und -hilfe einsetzt und in dem sie sich ehrenamtlich engagiert. Am 3. Oktober 2025 wird der Verein beispielsweise eine 24-Stunden-Wanderung anbieten, um Spenden für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) zu sammeln. Sie selbst kann aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen nur jedem Menschen raten, die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Und natürlich, sich selbst typisieren zu lassen, um selbst zum Lebensretter zu werden.

Denn Anne weiß, dass eine Organspende, zu der auch die Stammzellspende gehört, das „größte Geschenk ist, das ein Mensch einem anderen Menschen machen kann“. Wie einzigartig und fantastisch dieses Geschenk wirklich ist, daran wird die 37-Jährige nicht nur an ihrem zweiten Geburtstag erinnert, sondern jeden Tag. Schließlich hat sie auf ihrem Smartphone eine App installiert, die die Tage seit der Stammzelltransplantation mitzählt. Am diesjährigen Weltblutkrebstag, am heutigen 28. Mai, werden es für Anne „1185 Tage an Lebenszeit sein, die ich ohne den Spender nicht gehabt hätte“.

Der Weg zum Lebensretter

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