München/Prien/Gstadt – Für Eltern ist es ein Albtraum, wenn ihr kleiner Augenstern mit einem Herzfehler auf die Welt kommt. Angst, Verunsicherung, Operationen, Klinikaufenthalte und Medikamente werden ständige Begleiter. Aber es gibt auch schöne Momente. Zum Beispiel jetzt einen Schwimmkurs am Chiemsee, im Rahmenprogramm garniert mit einem Boxtraining mit einer dreifachen Weltmeisterin.
Mit einem halben
Herzen auf die Welt
Toni kam mit einem halben Herzen zur Welt, nur eine seiner beiden Herzkammern funktionierte. Sechs Herzoperationen musste der Bub über sich ergehen lassen. Die Leidenszeit prägte ihn in vielfacher Weise. Heute ist Toni 16 und half jetzt eine gute Woche lang mit in der Küche des Irmengard-Hofs – zusätzlich zum Schwimmunterricht im Prienavera. In dem Erholungsheim für schwerkranke Kinder und deren Familien zwischen Gstadt und Gollenshausen waren die Teilnehmer der mittlerweile siebten Schwimmfreizeit für Familien mit herzkranken Kindern einquartiert. Leiterin Renate Zahnbrecher und ihr 14-köpfiges Team ermöglichten es den 55 Teilnehmern in der Einrichtung der Björn-Schulz-Stiftung, eine gute Woche lang den herausfordernden Alltag weitgehend hinter sich zu lassen.
Engagement für
die „Jungen Herzen“
Die Erfahrungen mit Sohn Toni und der Wunsch, sich mit anderen Eltern herzkranker Kinder austauschen zu können, motivierten Michael Brandmayer und seine Frau Bettina, sich im Verein „Junge Herzen Bayern“ zu engagieren. Den gibt es seit 2011. Seit 2018 organisieren die Brandmayers jedes Jahr die achttägige Schwimmfreizeit am Bayerischen Meer. Nur einmal war coronabedingt Zwangspause. Heuer waren es knapp 30 Mädchen und Buben im Alter von eineinhalb bis 16, die mit ihren Angehörigen einen der begehrten Plätze ergattert hatten. Jeden Morgen, bevor das Prienavera in Prien für Besucher öffnete, hatte die Gruppe aus Müttern, Vätern, Herz-Kindern und Geschwistern das Erlebnisbad für sich. So war es möglich, dass Birgit Anzer mit ihrer Priener Schwimmschule und freiwilligen Helfern der Wasserwacht Prien-Rimsting, wo Anzer auch für die Schwimmausbildung verantwortlich ist, sehr individuell auf alle Mädchen und Buben eingehen konnte. „Die Herausforderung ist eine Gratwanderung zwischen Unter- und Überforderung“, erklärt die Schwimmlehrerin, dass die unterschiedlichen Herzerkrankungen der Kinder sich auch ganz spezifisch auf deren Kondition auswirken. Aber Anzer ist jedes Jahr dabei und hat inzwischen Erfahrung mit den besonderen Schwimmschülern der „Jungen Herzen“.
Manche bekommen von Thomas Schuster, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Wasserwacht, und dessen Helfern Einzelbetreuung. Andere sind nicht zum ersten Mal dabei und inzwischen so gut trainiert und selbstsicher im kühlen Nass, dass sie sich unter Anzers wachsamen Augen sogar Meerjungfrauen-Flossen überstreifen und damit im Erlebnisbecken abtauchen dürfen.
Ganz nah am Geschehen ist auch Kinderkardiologin Helga Prießmann. Sie hatte Toni seinerzeit in Großhadern in seinen ersten Lebenswochen auf der Intensivstation betreut und inzwischen eine eigene Praxis im Raum Bamberg. Für die „Jungen Herzen Bayern“ sperrt sie die jedes Jahr zu, um die fachmedizinische Betreuung der Schwimmfreizeit zu gewährleisten. „Es ist auch für uns Experten manchmal kaum zu glauben, was die alles können, wenn man sie lässt“, schildert die Herz-Expertin ihre Erfahrungen. Im Rahmenprogramm der achttägigen Veranstaltung bietet Prießmann im Irmengard-Hof Vorträge an, die Themen reichen von Herzklappenentzündung bis Schlafstörungen, denn auch solche „Nebenwirkungen“ kennen viele Eltern herzkranker Kinder.
Den Erfahrungsaustausch schätzen die Mütter und Väter sehr, zum Beispiel Maria Hofner aus Eschelbach. „Das ist sehr bereichernd, man sieht, dass man nicht alleine ist“, bestätigt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Hofner war mit ihrer neunjährigen Tochter Andrea heuer zum zweiten Mal bei den „Jungen Herzen“. Zu den zahlreichen jährlichen Stammgästen zählt Christine Metz aus Allershausen. „Die Gemeinschaft tut so gut, unsere Kinder wachsen innerlich“, freut sie sich über die Fortschritte ihres 13-jährigen Sohnes Leo. Einzelne Herz-Kinder haben es im Laufe der Jahre schon bis zum goldenen Schwimmabzeichen gebracht.
Tina Schüssler als
besonderes Zuckerl
Heuer hatte die Schwimmfreizeit im Freizeitprogramm, das vom sozialpädagogischen Team des Irmengard-Hofs geplant und begleitet wurde, noch ein besonderes Zuckerl zu bieten. Die frischgebackene Botschafterin des „Junge Herzen“-Vereins kam für einen Tag eigens aus Weimar angereist, wo sie für die Produktion eines TV-Mehrteilers derzeit vor der Kamera steht.
Aber Tina Schüssler ist nicht nur Schauspielerin, sie ist unter anderem auch TV-Moderatorin, Sängerin in der eigenen Band und nicht zuletzt dreifache Boxweltmeisterin. Für ihr vielfältiges sozialer Engagement wurde die Augsburgerin 2023 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Für die herzkranken Kinder im Irmengard-Hof war sie in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Besuch. Denn das Leben des Energiebündels nahm wegen eines lange unentdeckten, angeborenen Herzfehlers 2009 eine dramatische Wendung. Nach einem Bauchwandriss fiel sie ins Koma, erlitt eine Lungenembolie und eine Woche später einen Schlaganfall, der Schüsslers linke Körperhälfte praktisch komplett lähmte.
Drei Jahre Kampf –
und das mit Erfolg
Fast drei Jahre dauerte ihr Kampf zurück. „Mit ihrem Kämpferherz ist sie als Botschafterin der Jungen Herzen Bayern ein Vorbild für die herzkranken Kinder und zeigt uns Eltern, was mit Willensstärke alles möglich ist, also loslassen und fördern als unser Auftrag“, so Michael Brandmayer.
Ein Titanschirm verdeckt seit damals das zwei Zentimeter große Loch in Schüsslers Herzen. Sie holte nochmal einen WM-Titel, bevor mehrere Bandscheibenvorfälle die heute 51-Jährige zwangen, ihre aktive Laufbahn im Ring zu beenden.
Leben, Träumen
und Ziele erreichen
Das hielt Schüssler aber nicht davon ab, einen Teil ihrer Energie, ihrer Lebensfreude und ihres Optimismus im „Löwensaal“, dem Turnraum des Irmengard-Hofs weiterzugeben. „Auch wenn man etwas in sich trägt, was da nicht hingehört, kann man ein schönes Leben führen, sich Träume erfüllen und Ziele erreichen.“ Das war ihre Botschaft an die Mädchen und Buben der „Jungen Herzen Bayern“. Und mit ihrer Ausstrahlung schaffte es Schüssler, die Kinder vom ersten Moment an mitzureißen. Da flogen viele kleine Fäuste beim Schattenboxen durch die Luft.