Erl – Wenn Florian Schindlholzer mit seiner Familie im Garten sitzt, wirkt er wie ein ganz normaler 18-Jähriger. Das ist er auch. Kurze Hose, T-Shirt, die Kappe verkehrt herum auf dem Kopf, wie es bei jungen Leuten so üblich ist. Da sieht man es schon: Das Logo der Passionsspiele Erl, die Dornenkrone. Über 600 Laien wirken beim diesjährigen Passionsspiel mit, wo gerade Halbzeit ist. Insgesamt werden es 32 Aufführungen, gut die Hälfte sind abgespielt. Und das, was sich die Erler Passionsspiele auf die Fahnen schreiben, das Miteinander, das sie so besonders macht, wird hier bei der Familie Schindlholzer gelebt. Vom ersten Stock sieht man sogar hinüber zum Passionsspielhaus, das in seiner typischen Form das Ortsbild und die Menschen hier prägt.
Mit sechs Jahren
schon im Volk
Florian Schindlholzer, ältester von drei Brüdern, steht mit seinen 18 Jahren nicht zum ersten Mal auf der Bühne des Passionsspielhauses. 2013, mit sechs Jahren, ist er im Volk mitgelaufen, ebenso 2019, wo er auch den jungen Jesus verkörperte. „Damals war das aber nur eine ganz kleine Rolle“, so Florian Schindlholzer, für den es von klein auf selbstverständlich ist, mitzumachen. Für die diesjährige Spielsaison war er für das Orchester vorgesehen, das live in jeder Vorstellung spielt und er hätte von Tenorhorn kurzerhand auf Bariton umgeschult. „Kein Problem“, meint er verschmitzt.
Doch Spielleiter Karl Anker hatte Größeres mit dem jungen Mann vor und fragte ihn beim Ausflug der Musikkapelle Erl im Sommer 2024, wo Florian mitspielt, ob er sich vorstellen könnte, den Johannes zu spielen, den Lieblingsjünger Jesu, einen, der eine zentrale Rolle im Passionsspiel innehat. Eineinhalb Tage Bedenkzeit gab er ihm, aber eigentlich war ihm schnell klar, er würde zusagen. „Wenn ich eine Rolle bekomme, nehme ich sie, und wenn ich das jetzt nicht mache, ärgere ich mich“, meint Florian Schindlholzer. Es würde sich in dieser Saison auch mit der Zeit gut ausgehen, denn der 18-Jährige besucht zurzeit das „HTL Bau, Informatik und Design“ in Innsbruck und wird nächstes Jahr dort Matura machen. „Nächsten Sommer wär das nix gewesen“, da ist er sich sicher.
Auch Vater Thomas, Tischler von Beruf, spielt mit, er ist der Lazarus, der als Freund von Jesus gilt, nachdem er ihn von den Toten auferweckt hat. Thomas Schindlholzer ist ebenfalls seit Kindertagen aktiver Passionsspieler. „Für uns Bergbauern war das Passionsspiel immer sehr wichtig, der Vater hat sich die Zeit dafür genommen, das war selbstverständlich.“ Jetzt ist er als Vater sehr stolz auf seinen Sohn Florian als Apostel Johannes. Wenn er seinen ersten Auftritt hat, sitzt er in der Kantine vor einem Bildschirm und fiebert mit. „Die Rolle passt gut zu ihm, sowohl die Begeisterung als auch Zerrissenheit, die er auf der Bühne vermitteln muss.“ Florian verkörpert als Johannes den glühendsten Anhänger, um in der Sprache der Jugendlichen zu sprechen, einen „Follower“ von Jesus und ist der Erste, der ganz allein die Bühne betritt und das Spiel mit dem Prolog über das Fleisch gewordene Wort und das Licht des Lebens, das von der Dunkelheit nicht erfasst wird, eröffnet. „Die letzten fünf Minuten vor der Aufführung verziehe ich mich in irgendein Eck und versuche ganz ruhig zu werden, mich auf den Text und meine Rolle zu konzentrieren, zuerst spielt die Musik, ich bekomme vom Dirigenten ein Zeichen und dann geht’s kriechend unter der Treppe hinaus auf die Bühne. Am Anfang ist mir da schon die Pumpe gegangen, besonders bei der Generalprobe, in die traditionell die Erler eingeladen werden.“ Nervös sei er eigentlich vor jeder Aufführung, aber wenn’s dann losgegangen sei, lege sich das, dann würde man Teil dieser großen Geschichte in der Gemeinschaft. „Eine starke Geschichte mit starken Persönlichkeiten“, so bezeichnet Florian Schindlholzer das Passionsspiel und Vater Thomas ergänzt: „Es kann nicht nur eine Geschichte sein, sonst hätte sie nicht seit über 2000 Jahren Bestand.“ „Es ist modern und gleichzeitig traditionell“, sagt Florian. Und, da sind sich Vater und Sohn einig, zutiefst menschlich, da es alle Facetten des Menschseins in sich trage. Fröhlichkeit, Freundschaft, den Verrat, die Zerrissenheit, die Verzweiflung, den Tod und vor allem die Liebe.
Oma Annemarie und Opa Hannes sind als echte Erler Teil des Passionsspiels im Volk Israel. Und natürlich ist Mama Veronika auch dabei. Das in sanften Orange- und Rottönen gekleidete Volk ist ein wesentlicher Bestandteil des Spiels und wirkt durch seine immense Menge von Menschen, wenn sie zum Beispiel beim Einzug von Jesus in Jerusalem alle auf der Bühne sind und jubeln. In der kommenden Aufführung am Sonntag spielt sogar Erzbischof Franz Lackner aus Salzburg mit, da machen die Erler eine große Ausnahme. Denn nur wer aus Erl ist, egal ob gebürtig oder zugezogen, darf mitmachen. „Ich habe Leute kennengelernt, die habe ich bis jetzt noch nie gesehen“, sagt Thomas Schindlholzer. Die über 600 Mitwirkenden sind allesamt Laien, die ihre Freizeit dem Spiel widmen. „Man verlegt seine Freizeit über die Spielzeit einfach ins Passionsspielhaus hinüber“, so Florian Schindlholzer, „denn alle Spezeln sind ja dabei.“ Die meisten von ihnen bei den Römern. Neid unter den Freunden sei kein Problem, die anderen meinten eher, für sie wäre eine so tragende Rolle nichts gewesen.
Auf die Frage, was das Spielen einer solch bedeutenden Rolle mit ihm mache, antwortet er, man werde sicherer im Auftreten vor Menschen. Trotzdem sei man nach der Aufführung erst einmal total fertig, gerade der Kreuzweg koste ihm sehr viel Kraft, zum Ende hin verlange das Spiel immer mehr ab. „Doch danach ist man wieder der, der man im Leben ist“, sagt Papa Thomas. „Manchmal werde ich mit Griaß di Lazarus begrüßt. Nein, sage ich dann, ich bin der Thomas.“
Gänsehaut bei
„Großer Gott“
Die ganze Familie ist glücklich, wenn eine Aufführung gut gelaufen ist und freut sich auf die nächste. „Ein großer Moment, wenn sich das Publikum erhebt und alle gemeinsam ‚Großer Gott wir loben Dich‘ singen.“ Auch für den neunjährigen jüngsten Sohn Maximilian, der gleich mehrere Rollen hat: Er singt im Kinderchor, läuft im Volk mit und ist im Bedarfsfall das Ersatz-Jesus-Kind, das großartig von Johannes Staffner verkörpert wird. Nur einer bleibt daheim, der mittlere Bruder Sebastian. „Einer muss schließlich das Haus hüten“, sagt Thomas Schindlholzer.
Wenn Florian Schindlholzer am 4. Oktober 2025 das letzte Mal in diesem Passionsspiel-Jahr als Johannes auf die Bühne tritt und seinen Prolog hält, ist erst einmal Schluss für fünf Jahre, bis im Sommer 2030 die Vorbereitungen für die Passion 2031 beginnen. Da ist er dann 24, vielleicht mitten im Studium oder schon fertig mit der Ausbildung. „Wenn möglich, werde ich wieder dabei sein, das gehört als Erler einfach dazu.“ Das sagen auch Oma Annemarie, Opa Hannes, Mama Veronika, Papa Thomas und Bruder Maximilian. „Solange es geht, werden wir mitspielen.“ Welche Rolle Florian dann spielen wird, weiß keiner. Und „ja, den Johannes würde ich wieder spielen, das ist 100 Prozent meine Rolle.“