„Ich will Mut machen“

von Redaktion

Interview Model Greta Niewiadomski (24) über Lebensfreude

Prien – Was bedeutet Normalität und wer bestimmt, was normal ist? Greta Niewiadomski zeigt, wie selbstverständlich Vielfalt sein kann. Als Model mit Prothese, angehende Psychologin, Paralympics-Sportlerin und Aktivistin für Inklusion bricht die 24-Jährige mit einseitigen Bildern von Behinderung. Wir sind zum Gespräch in Prien verabredet, bis dahin „kenne“ ich Greta nur von Fotos. Sie ist das Gesicht bekannter Marken, hat unter anderem auf großen Plakatwänden bundesweit für eine Reiseversicherung geworben. Ihr Markenzeichen: eine futuristisch anmutende Handprothese. Dass wir sofort beim Du sind, macht das Fragen leichter.

Wann hast du realisiert, dass du dich von anderen unterscheidest?

Da muss ich vier gewesen sein. Es war im Kindergarten und ein anderes Kind hat mir gesagt, dass ich eine Hand und eine Faust habe, die anderen alle haben aber zwei Hände.

Wie war das für dich?

Da es rein beschreibend war und keine Wertung enthalten war, fühlte sich das für mich okay an. Meine Eltern hatten immer von meiner großen und meiner kleinen Hand gesprochen – und die „kleine“ Hand hinderte mich nicht daran, alles ausprobieren zu dürfen. Sie haben mir einfach zugetraut, genauso wie die anderen Kinder Radfahren und Rollerfahren zu lernen. Sie waren mit mir beim Schwimmen und ich durfte klettern, und Schleife binden, was ja damals im Kindergarten eine große Sache war, habe ich auch gelernt.

Gab es als Kind Kommentare, die dich verletzt haben?

Wenn die Kommentare von Kindern kamen, hatte ich immer gute Freundinnen, die mich verteidigt haben. Was mich verletzt hat, waren eher die Kommentare von Erwachsenen, wenn sie mir etwas nicht zugetraut haben oder mich irgendwie schützen, aber dadurch ausschließen wollten.

Fällt dir da ein Beispiel ein?

Eine Lehrerin in der Grundschule sagte zu mir, dass ich keinen Fahrradführerschein machen müsste. Aber den wollte ich genauso unbedingt haben wie alle anderen Kinder in meiner Klasse auch.

Und hast du an der Fahrradprüfung teilgenommen?

Klar, und ich habe den Fahrradführerschein bestanden. Für mich war die nicht vorhandene rechte Hand keine wirkliche Einschränkung, ich habe von Anfang an gelernt, mit meiner Besonderheit zurechtzukommen. Ich hatte keine Vorbilder von Menschen mit Behinderung, aber meine Eltern haben mich bestärkt und alles getan, damit ich ein selbstbestimmtes Leben führen konnte. Und meine Eltern haben mir versichert, dass nicht ich ein Problem habe, wenn andere was Blödes sagen, sondern die anderen. „Die wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen“, erklärte mir meine Mama. „Du musst ihnen helfen und erklären, was dich ausmacht.“

Als Teenager eifert man ja meist – bewusst oder unbewusst – Schönheitsidealen nach. Wie war das bei dir?

Ich habe viel Sport getrieben, begeistert Fußball gespielt, stand im Tor und habe erfolgreich Bälle gehalten, hatte gute Noten und einen tollen Freundeskreis. Mir ging es gut. Mir fehlte eigentlich „nur“ eine Hand und natürlich war ich darauf fokussiert, habe mich aber ansonsten nicht infrage gestellt. „Wenn ich zwei Hände hätte, wäre ich perfekt“, dachte ich und war so auf die fehlende Hand fokussiert, dass ich weder mein Aussehen, noch meine Figur oder anderes in Frage gestellt habe. Aber es gab auch eine Phase in meinem Leben, da habe ich mich regelrecht geschämt und versucht, meine Behinderung zu verbergen.

Was hat dir geholfen?

Meine Eltern, meine Freundinnen und Freunde, meine Privilegien als weiße, schlanke Frau, die Abitur machen konnte, sicher auch. Was mir geholfen hätte, wäre die Frage gewesen, die wir heute als Therapeuten unseren Patienten stellen: „Würde dich deine Behinderung, deine Besonderheit auf einer einsamen Insel stören?“, lautet diese therapeutische Frage. „Nein“, wäre meine Antwort, denn mich hat meine fehlende Hand nie gestört oder mir irgendetwas verunmöglicht. Außer Klavierspielen vielleicht. Aber ich bin ohnehin völlig unmusikalisch und wollte nie spielen

Haben Menschen mit Mitleid auf dich reagiert?

Schon und das hat mich früher traurig und auch wütend gemacht. Denn ich finde mich nicht bemitleidenswert. Inzwischen habe ich das Standing, dass ich Leute darauf hinweise, wenn sie etwas sagen oder tun, was ich nicht für angebracht halte.

Eine Freizeit vom Bundesverband für Menschen mit Arm- und Beinamputationen hat dein Leben wesentlich beeinflusst. Was ist da passiert?

Da war ich 17 und bis dahin immer in einem zweihändigen Umfeld. Und auf einmal bin ich mit Menschen zusammen, denen ebenso eine Hand oder ein Arm oder ein Fuß oder ein Bein fehlt. Das war wahnsinnig entlastend. Niemand hat die Frage gestellt, ob ich etwas kann, sondern es ging nur darum, wann und wie ich es lerne. Man muss sich nicht erklären, nichts muss sofort klappen, man darf alles ausprobieren. Das war für mich eine riesengroße Erleichterung und auch ein Geschenk, denn bis dahin hatte ich mir selbst immer Druck gemacht, alles mindestens so schnell wie die „normalen“ Kinder und Jugendlichen zu können.

Wann hast du entschieden, dass du eine Prothese möchtest?

Kurz vor der Freizeit habe ich einen Beitrag über Prothesen gesehen und erfahren, dass es sowas gibt und ich, wenn ich möchte, einen Anspruch darauf habe. Im Camp habe ich dann Kinder mit Prothesen erlebt und auch eine ausprobiert. Da wurde mir klar, ich hätte auch gerne eine – und zwar eine möglichst auffällige Hightech-Version. Denn ich will nicht so tun, als wäre nichts, will nichts kaschieren, sondern die Prothese bewusst einsetzen.

Hat sich dein Leben durch die Prothese verändert?

Mein Leben hat sich in dieser Zeit ohnehin grundlegend verändert. Ich habe den Führerschein und Abitur gemacht, war auf Reisen, habe mein Freiwilliges Soziales Jahr in der Psychiatrie geleistet. Alles war damals im Umbruch. Was sich durch die Prothese spürbar geändert hat, war die Reaktion der Menschen. Sie reagierten fasziniert und total positiv auf die Prothese. Das war interessant und schön zu erleben, weil Behinderung ja sonst immer als negativ wahrgenommen wird.

Du bist allein durch Island getrampt, hast via Couchsurfing bei Fremden übernachtet, bist quer durch Deutschland geradelt. Würdest du dich als Abenteuertyp beschreiben?

Ich sehe mein Leben schon als Abenteuer, will alles ausprobieren. Und ich habe das Glück, mich auf Situationen einlassen zu können und im richtigen Augenblick Ja zu sagen.

Wie zum Modeln?

Das hatte ich zuvor noch nie gemacht, und als ich erfuhr, dass eine bekannte deutsche Skatermarke Models sucht, habe ich mich beworben und wurde genommen. Ich habe in der Zeit auch angefangen, als Journalistin und Aktivistin Texte zu schreiben. In der Süddeutschen Zeitung erschien ein Text von mir über Behindertenrechte und Diskriminierung. Das Foto dazu hatte eine Freundin gemacht. Darauf meldete sich eine Versicherung bei mir für eine große Kampagne. Das war toll, weil es um Reiseversicherungen ging und die Kampagne zeigte, dass jungen Menschen – auch mit Behinderung – die Welt offen steht. Als dann großflächig mit mir plakatiert wurde, war das auf alle Fälle ein verrücktes Gefühl.

Inklusion ist mit Models wie dir auch in der Werbung und Mode angekommen – oder wie siehst du das?

Ich glaube, ein erster Schritt ist getan. Aber mir ist auch klar, dass ich gebucht werde, weil die Verbindung von Diversity und High-Tech-Prothese zeitgemäß ist. Wir sind in Sachen Inklusion noch lange nicht am Ziel, aber wenn ich durch die Fotos ganz viele unterschiedliche Menschen erreiche, die sich sonst null mit dem Thema auseinandersetzen, dann geht es in die richtige Richtung. Denn die Sichtbarkeit von Behinderung ist enorm wichtig, auch für alle Kinder, die mit einer Behinderung aufwachsen. Wenn wir dann einmal alle gemeinsam wirklich realisiert haben, dass jeder Mensch unterschiedlich ist und dass das etwas Gutes ist, dann leben wir Inklusion.

Du trainierst für die Paralympics, deine Disziplin ist Taekwondo. Ist Kampfsport die nächste Herausforderung?

Ich habe schon immer viel Sport getrieben und kam auf Taekwondo, weil es perfekt zu meinem derzeitigen Leben passt. Es ist ein achtsamer, balance-orientierter Sport, bei dem es um Selbstverteidigung und um Angriff geht. Das fand ich sehr spannend. Dass es jetzt in Richtung Spitzensport geht, war so nicht geplant. Ich sehe mein Leben wie gesagt als Abenteuer, will viel ausprobieren – warum also nicht die Paralympics, falls es klappt.

Interview Raphaela Kreitmeir

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