Rosenheim – Wer die 13 Verstorbenen sind, die Pfarrerin Rosemarie Rother und Seelsorgerin Hannelore Maurer an diesem Vormittag segnen, wissen sie nicht. Auch nicht, warum niemand die Bestattung übernehmen will. Bekannt sind lediglich die Namen und die Straße, in der sie zuletzt gelebt haben.
13 Urnen stehen in
Aussegnungshalle
„Jede Urne steht für einen Namen und einen Lebensweg“, sagt Rosemarie Rother. Sie steht in der Mitte der Aussegnungshalle auf dem Städtischen Friedhof. Vor ihr stehen die 13 Urnen. Mit ruhiger Stimme liest sie die Namen der Verstorbenen vor. Da wäre Ulrich aus der Burgfriedstraße, Markus aus der Brückenstraße, Regina aus der Gabelsbergerstraße oder Abdallah aus der Erlenaustraße.
Während sie die Namen vorliest, schweift ihr Blick immer wieder durch den Raum. Rund 50 Menschen sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Mehr als sonst. Einige halten sich an den Händen, andere blicken auf die Urnen. Fast alle haben Blumen dabei. Sie alle sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Von Bekannten. Freunden. Nachbarn. Oder Fremden.
Unter ihnen sind auch Elfriede und Marianne. Die beiden Frauen sind schon seit über 35 Jahren befreundet. Sie sind gekommen, um sich von ihrer Freundin Regina zu verabschieden. Sie starb im März im Alter von 84 Jahren an einer Lungenentzündung. Alleine. Im Krankenhaus. Im Dezember wäre sie 85 Jahre alt geworden. „Wir wussten nicht, dass sie im Krankenhaus ist. Wir hätten sie sonst niemals alleine gelassen“, sagt Elfriede. Ihre Stimme ist leise. Regina sei vor ein paar Jahren ins Pflegeheim gezogen. Der Demenz wegen. Und auch, weil es niemanden gab, der sich um sie hätte kümmern können. Ihre Tochter lebt in Amerika, Kontakt haben die beiden Frauen kaum.
„Als mein Mann gestorben ist, war Regina immer für mich da“, erinnert sich Marianne. Sie hätten lange Zeit Tür an Tür gelebt, gemeinsam viele Ausflüge unternommen. „Sie war eine tolle Freundin“, sagt Marianne. Umso trauriger sei es, dass weder sie noch Elfriede über ihren Tod informiert worden seien. „Wir hätten sie auf ihrem letzten Weg begleitet“, sagt Elfriede.
Weil ihnen diese Möglichkeit genommen wurde, sind sie an diesem Vormittag gemeinsam zum Friedhof spaziert. Sie haben gebetet, gesungen und sich erinnert. An ihre Regina, die so viel mehr war als nur ein Name und eine Straße. „Wir haben Fotos gemacht, die wir an ihre Tochter schicken“, sagt Elfriede.
Fotografiert haben auch die Bekannten von Marco. „Er hatte in seinem Leben viele Höhen und Tiefen“, sagt eine Freundin, die lieber anonym bleiben möchte. Die beiden seien über fünf Jahre befreundet gewesen. Marco sei freundlich gewesen. Hilfsbereit. Nett. Er starb im Alter von nur 54 Jahren. Schwer krank sei er gewesen. Mehr will sie nicht sagen.
Ihre Stimme ist leise. Nach der Beerdigung gehen sie in ein Café. Sie wollen an Marco erinnern. Gemeinsam lachen. Weinen. „Er hat Kaffee geliebt“, sagt sie und lächelt. Dann geht sie zu den Urnen, legt eine Rose nieder und verabschiedet sich. Morgen will sie wiederkommen.
Unter den 13 Verstorbenen gibt es – davon ist zumindest auszugehen – auch Personen, um die an diesem Vormittag niemand trauert. Keine Bekannten. Keine Angehörigen. Bereits 2011 regte Pfarrerin Rosemarie Rother deshalb an, dafür zu sorgen, dass auch diese Verstorbenen würdig verabschiedet werden. Mit einem ökumenischen Gottesdienst. Musik. Blumen. Gebeten und Reden.
Sogenannte Sozialbestattungen finden dann statt, wenn keine entsprechende Vorsorge getroffen wurde, es keine Angehörigen gibt, diese nicht ausfindig gemacht werden konnten oder wenn sie sich weigern, die Kosten für die Bestattung zu übernehmen. „Sofern innerhalb der Bestattungsfrist von acht Tagen keine Angehörigen ermittelt oder kontaktiert werden können, wird in der Regel zunächst ein Feuerbestattungsauftrag erteilt und die Urne an den Friedhof gesandt“, erklärt Christian Baab, Pressesprecher der Stadt Rosenheim.
Anschließend wird die Urne bei der nächsten Sozialbestattung im Sozialgrab beigesetzt. „Die finden in der Regel zweimal im Jahr statt, im Frühling und im Herbst“, sagt Baab. Wenn es zeitlich möglich ist, nehmen Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung und des Ordnungsamtes an der rund einstündigen Zeremonie teil. „Sie wollen der verstorbenen Person das letzte Geleit geben“, fügt der Pressesprecher hinzu.
Unter den Trauergästen waren an diesem Vormittag auch Werner Eder und Herbert Gruber. Die beiden Männer haben sich auf dem Friedhof erst kennengelernt, aber auf Anhieb verstanden.
Eder ist Geschäftsführer der gleichnamigen Holzverarbeitungsfirma in Schechen und hat die Holzurnen selbst angefertigt, gestaltet und anschließend gespendet. „Jede Urne ist handgemacht. Keine gleicht der anderen. Es ist etwas Besonderes“, sagt er. Dass die Beisetzung besonders ist und in Erinnerung bleibt, ist auch Herbert Gruber wichtig. Er bezeichnet sich selbst als Amateursänger, hat Ende des Monats einen Auftritt in der Christkönig-Kirche. Schon seit mehreren Jahren singt er während der Sozialbestattungen.
Für Menschen, die, wie er sagt, eben nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft standen. „Auch sie haben einen würdigen Abschied verdient“, sagt er.
Abschied mit Lied
von Johnny Cash
Also singt er Gospellieder, Worship-Klassiker und alles, „was ihm spontan einfällt“. An diesem Vormittag wählt er den Klassiker „There‘s a man going round taking names“ von Johnny Cash. „Es ist ein passendes Bild“, sagt Gruber. Und auch, wenn die Namen der Verstorbenen „eingesammelt werden“, sorge man mit der Sozialbestattung eben doch dafür, dass die Namen nicht verloren gehen. Die Namen von Ulrich aus der Burgfriedstraße, Ulla aus der Flandernstraße oder Fedor aus der Erlenaustraße.