Rosenheim – Die Kaffeetafel ist gedeckt, es duftet nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Auf Platten sind Croissants und Butterbrezeln angerichtet, um den Tisch herum sitzt eine Gruppe von Frauen. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine ganz normale Kaffeerunde unter Freundinnen, man duzt sich, ist ins Gespräch vertieft. Alles wirkt sehr vertraut.
Doch die Frauen, die hier in einem hellen Raum der psychosozialen Krebsberatungsstelle am Salzstadel sitzen, teilen ein Schicksal: Sie haben Krebs oder sind betroffen durch einen Angehörigen oder eine Angehörige. Mit dabei sind Heidemarie Siegert, Psychologin und Leiterin der Psychosozialen Krebsberatungsstelle, und die Assistentin der Beratungsstelle, Johanna Wachinger. Die 77-jährige Manuela (alle Namen wurden auf Wunsch der Betroffenen von der Redaktion geändert) kommt gerne und regelmäßig zum Onko-Café. Die ehemalige Lehrerin hat bereits zum zweiten Mal Brustkrebs. Nach der Therapie vor fast 40 Jahren galt sie als geheilt und fühlte sich eigentlich sicher. Damals war sie Mutter von halbwüchsigen Kindern und ging offen mit ihrer Krankheit um. Heute ist das anders. „Die meisten Menschen können nicht damit umgehen“, sagt die 77-Jährige.
Das bestätigt Monika, die ihr gegenübersitzt. Auch sie hat eine zweite Krebserkrankung. „Freunde bleiben einfach weg, wenden sich ab, melden sich nicht mehr.“ Heutzutage würde man „Ghosting“ dazu sagen. Die Folgen sind Einsamkeit, Alleinsein, Grübeln und Depression. „Mir wurde im Klinikum dazu geraten, mir psychologische Hilfe zu suchen,“ erzählt Manuela. Aber einen Termin bei einem Psychologen zu bekommen, keine Chance. Mit fünf Monaten Wartezeit hätte sie rechnen müssen.
Bis ihr dann die Telefonnummer und die Adresse der psychosozialen Krebsberatungsstelle am Salzstadel gegeben wurden. „Hier wurde ich aufgefangen“, sagt sie. Regelmäßige Gespräche mit der Psychologin, die offene und freundschaftliche Atmosphäre, die verschiedenen Angebote vom Entspannungstraining bis zum Onko-Café, haben ihr in ihrer Depression geholfen.
Die psychosoziale Krebsberatungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft ist eine Art „safe space“, ein Ort, an dem man mit den Problemen, die mit einer Krebserkrankung einhergehen, sicher ist. Sicher vor Ablehnung, sicher vor der Angst der anderen, sicher vor Tratsch. Denn auch der bleibe nicht aus. In den Gesprächen mit der Psychologin Heidemarie Siegert habe man ein neutrales, aber einfühlsames Gegenüber. Denn man wolle ja auch sein Umfeld nicht noch mehr belasten, gerade die Familie, die Kinder, der Partner oder Freunde sind total überfordert.
Krankheit, Tod –
und Literatur
Manuela, die ehemalige Lehrerin, erzählt von einem Buch, das sie kürzlich gelesen hat. Sie liest gerne und geht regelmäßig in die Stadtbibliothek. „Doch diesmal“, meint sie, „war es ein totaler Fehlgriff.“ Es war „Hey guten Morgen, wie geht es dir“ von Martina Hefter. „Was? Und du hast es trotzdem fertig gelesen?“, wundern sich die anderen. Gleich ist aus der Frauenrunde eine Art Literaturkreis geworden, jede schlägt ein Buch vor, gedruckt oder als Hörbuch, alle sind an den Erfahrungen der anderen interessiert. „Herbst in Wien“ von Petra Hartlieb wird zum Favoriten erkoren, sowohl als Hörbuch als auch als gedruckte Version.
„Natürlich sprechen wir auch über die Krankheit, den Verlauf, die Therapien und die Folgen. Und auch über den Tod“, sagt Psychologin Heidemarie Siegert. Eine der Teilnehmerinnen hat ihre einzige Tochter verloren durch einen extrem aggressiven Krebs. Auch sie findet hier ihren „safe space“, einen sicheren Ort, an dem sie sein kann, wie sie ist: traurig, hilflos, depressiv – oder kommunikativ. „Wir versuchen hier, das Leben von Betroffenen etwas zu ordnen“, sagt die Psychologin, und „es gibt nichts, was es nicht gibt.“ Johanna Wachinger ist die „gute Seele“ in der Beratungsstelle. Berufsbegleitend studiert sie gerade „Soziale Arbeit“, denn es gibt im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung so viel Bürokratisches zu erledigen. Formulare, Anträge, viel Schriftkram, für den man in einer solchen Situation keinen Kopf hat. Und auch sie beteiligt sich an der Kaffeerunde und bringt eine neue Kanne mit frischem Kaffee. „Das Onko-Café ist ein wichtiger Stützpunkt in unserem Angebot, es ist niederschwellig und für jeden offen“, so die Neubeurerin.
Niederschwelliges
Angebot
„Und natürlich kommt es vor, dass Leute kommen, die mich kennen, aber sie können sich darauf verlassen: Alles bleibt hier, nichts geht nach draußen.“ Zuhören, begleiten, helfen ist das Motto der Bayerischen Krebsgesellschaft. Hier wird dieses Motto gelebt. Gut, dass es diesen Ort gibt, diesen geschützten Raum, wo man nichts muss, außer man selbst sein, traurig, ratlos, überfordert, lebensmüde … Und vielleicht auch für einen kurzen Zeitraum „normal“ in einer fröhlichen Kaffeerunde, wo man offen über seine Probleme und Ängste sprechen kann oder auch mal über Bücher.