Rosenheim – Schätzungsweise fünf Millionen Menschen singen in Deutschland in Chören. Das Jahr 2025 wurde von den Landesmusikräten als „Jahr der Stimme“ ausgerufen, um die menschliche Stimme zu feiern und das Singen in den Vordergrund zu stellen. Dazu gibt es auch spezifische Veranstaltungen wie den „Weltsingtag“ und die Kampagne „#BayernSingt“ am gestrigen Freitag, die Menschen zum gemeinsamen Singen einlud.
Singen ist gut
für die Seele
Und wer es einmal gemacht hat, wird garantiert zum Wiederholungstäter, denn Singen setzt Endorphine und andere positive Hormone frei, was zu einem verbesserten Wohlbefinden und Stressabbau führt. Dadurch verbessert sich die Stimmung, Stress und Ärger nehmen ab und es kann zu einem Gefühl der Entspannung und Freude kommen. Singen im Chor ist einfach schöner als alleine unter der Dusche, selbst wenn das garantiert auch Glückshormone ausschüttet.
Es gibt Konzertchöre mit ausgebildeten Sängern, Projektchöre für bestimmte Anlässe, Kinderchöre, Männerchöre, Kirchenchöre – immer mit dem Ziel, irgendwann aufzutreten und diesen großartigen Augenblick des Applauses zu erleben, was zu einer weiteren Glückshormon-Ausschüttung führt. Auch in einer Kirche, wenn der Kirchenchor samt Orchester eine Messe umrahmt hat, wird bisweilen applaudiert und der eine oder andere Pfarrer fordert sogar dazu auf. Und dann gibt es Menschen, die einfach gerne singen, ohne Druck und Auftrittspläne, einfach um ein bisschen glücklicher zu sein, die gemeinsame Kraft des Singens zu erleben und für eine Stunde die Sorgen oder eine Krankheit zu vergessen.
So ein Chor ist der „Freudenklänge Chor“, oder auch „Chor für Erkrankte“ mit der Diagnose Krebs und deren Angehörige. Die Idee dazu hatte Almuth Aicher, Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung Rosenheim, inspiriert von der ZDF-Sendung „37 Grad“ mit der Reportage: „Ein Chor, der gegen die Hoffnungslosigkeit ansingt und das Leben preist“ aus dem Jahr 2022. Almuth Aicher fackelt nicht lange herum, findet einen Sponsor, der selbst betroffen ist, und mit Sieglinde Zehetbauer eine Chorleiterin, die mit viel Herzblut einmal im Monat im Haus der Bürgerstiftung in der Königstraße in Rosenheim ein Chorsingen veranstaltet.
Nach einem kurzen Einsingen sind die zehn Frauen voll bei der Sache und schlagen ihre Notenbücher auf. Eines ihrer Lieblingslieder ist „Gabriellas Song“ aus dem schwedischen Kinofilm „Wie im Himmel“, bei dem es um einen herzkranken Dirigenten und die Gemeinschaft eines Chores geht und jeder einzelne Sänger eine Geschichte hat. So ähnlich ist es auch hier beim montäglichen Vormittagssingen.
Margret und Maria sind zwei von ihnen, beide haben Angehörige mit einer Krebserkrankung. Maria kommt, während ihr Mann in der Dialyse ist. „Früher war ich in einem Gospelchor, ich habe immer gerne gesungen, das Singen hier ist für mich das Highlight des Monats.“ Irmgard schätzt die Gemeinschaft hier und dass es keine strenge Chordisziplin gebe. „Ich habe zum zweiten Mal Krebs und durch die Chemotherapie hat sich meine Stimme verändert“, erzählt sie.
Aber das spiele in dem Chor keine Rolle. Gabi, eine leidenschaftliche Opernliebhaberin und Sängerin, ist froh, dass sie die Möglichkeit hat, am Vormittag zu singen. „Am Abend, wenn die meisten Chorproben stattfinden, kann ich einfach nicht mehr.“ Und „es ist wurscht, wer du bist, es gibt keinen Leistungsdruck, danach bin ich immer wie aufgetankt.“ Renate kommt einfach aus Demut und Dankbarkeit für ihre Gesundheit. Niemand muss hier seine Geschichte erzählen, jeder ist willkommen.
Das unterstreicht auch Chorleiterin und Solo-Sopranistin Sieglinde Zehetbauer, für die das Projekt eine echte Herzensangelegenheit ist und zum Beispiel bei „Gabriellas Song“ eine strahlende Oberstimme singt.
Die Stimmung ist bestens hier. Wenn man es nicht wüsste, würde man nicht merken, welche Geschichten die Frauen mit sich herumtragen. „Man baut sich gegenseitig auf“, sagt Sieglinde Zehetbauer.
Kein Wunder, dass sich alle freuen, als sie das nächste Stück ankündigt, „Auf uns“ von Andreas Bourani, ein Lied, das sich während der Fußball-WM 2014 zur Hymne entwickelte. Der Text lautet: „Ein Hoch auf uns, ein Feuerwerk aus Endorphinen, ein Hoch auf uns, ein Feuerwerk zieht durch die Welt, ein Hoch auf uns, so viele Lichter sind geblieben, auf uns.“ Voller Leidenschaft singen die zehn Frauen, während Sieglinde Zehetbauer noch einzelne Takte wiederholt und zum Aufstehen auffordert. Die Endorphin-Ausschüttung ist in vollem Gange.
Gestärkt in
die Woche
Kristin mit bunter Hose und einem pinken Pullover hat schon mehrere Krebserkrankungen hinter sich. Sie ist berufstätig und schaufelt sich einmal im Monat den Montagvormittag frei, auch wenn sie dann am Abend länger arbeiten muss. „Jetzt mache ich bei allem mit, was es gibt“, denn man wisse nicht, was komme. „Wenn einer von uns geht, machen wir eine kleine Abschiedszeremonie, zünden eine Kerze an, singen natürlich ein Lied“, sagt Sieglinde Zehetbauer.
Die Musikerin und Sängerin gibt auch Gesangsunterricht und sieht das Singprojekt der Bürgerstiftung als Teil einer ganzheitlichen Methode für ein besseres Leben. Sie spielt mit dem Keyboard das Lied „Du bist wie die Sonne“ von Wolfgang Bossinger ein. Die Sängerinnen stehen auf und nehmen sich bei den Händen. Berührungsängste gibt es nicht.
Nach eineinhalb Stunden gibt es Kaffee und Gebäck, einen kleinen Ratsch und die klare Ansage: „Bis zum nächsten Mal.“ Alle gehen mit einem „Ohrwurm“ nach Hause, vielleicht mit „Gabriellas Song“ im Ohr oder summen auf dem Heimweg „Thank you for the Music“ von ABBA. Auf jeden Fall gut gerüstet für die Woche und voller Vorfreude auf das nächste gemeinsame Singen.