Leben eines jungen Menschen wertvoll bereichern

von Redaktion

Interview Koordinatorin Rahel Wacker vom Landratsamt Rosenheim sucht ehrenamtliche Vormünder

Rosenheim/Landkreis – Wenn Eltern aufgrund von Tod, Krankheit oder Erziehungsunfähigkeit ausfallen, bestellt das Familiengericht einen Vormund, der die Interessen des Kindes vertritt – bis es selbst Entscheidungen treffen kann oder die Eltern die Verantwortung wieder übernehmen können. In der Regel handelt es sich dabei um hauptamtliche Vormünder. Aufgrund einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2023 können auch Ehrenamtliche eine Vormundschaft übernehmen. Der Landkreis Rosenheim sucht nun Freiwillige, die bereit wären, eine Vormundschaft zu übernehmen. Rahel Wacker, die Koordinatorin der Stelle am Landratsamt Rosenheim, erklärt im Interview, welche Aufgaben ein Vormund hat und wie umfassend die Verantwortung für ein fremdes Kind ist.

Was ist ein Mündel beziehungsweise ein Vormund und welche Aufgaben hat der Vormund?

Ein Mündel ist eine minderjährige Person, also ein Kind oder ein Jugendlicher bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die einen Vormund oder einen Ergänzungspfleger hat. Allerdings wird der Begriff „Mündel“ zunehmend gemieden, da er Kinder und Jugendliche objektiviert. Der Vormund ist die rechtliche Vertretung eines Mündels und ist auch verantwortlich für Personensorge und Vermögenssorge. Gewöhnlich liegt diese bei den Eltern. Man spricht dann nicht von Vormundschaft, sondern von Sorgerecht. Zu den Alltagsaufgaben eines Vormunds gehören je nach Alter des Kindes die Anmeldung bei der Kita oder der Schule, auch die passende Wahl der Schule, später mit dem Kind gemeinsam herauszufinden, welche Berufsausbildung die passende ist, und den Ausbildungsvertrag zu unterschreiben. Aber auch jegliche Arten von Verträgen, also Kaufverträge, Handyverträge oder Mietverträge.

Wann wird ein Vormund gebraucht?

Ein Vormund wird nötig, wenn den Eltern das gesamte oder Teile des Sorgerechts vom Gericht entzogen werden, aufgrund von Kindeswohlgefährdung, etwa wegen Verwahrlosung oder Gewalt gegenüber dem Kind. Aber auch, wenn beide Elternteile sterben. Oder für minderjährige Geflüchtete, die ohne Eltern hier ankommen. Es darf kein „rechtliches Vakuum“ entstehen, man braucht immer eine rechtliche Vertretung für das Kind oder den Jugendlichen, um handlungsfähig zu sein. Gerade wenn den Eltern das Sorgerecht entzogen werden muss, wird das Kind in der Regel aus der Familie herausgenommen. Das heißt, man braucht auch jemanden, der darüber entscheidet, wo das Kind dann lebt. In den meisten Fällen wird dann ein Amtsvormund bestellt.

Was sind die Gründe dafür, dass diese Vormundschaft nun als Ehrenamt angeboten wird?

Ehrenamtliche Vormundschaften gibt es schon immer. Ein ehrenamtlicher Vormund kann auch Onkel, Tante, Oma oder Opa sein. Sie bekommen keine Entlohnung dafür und haben in der Regel auch nur ein Mündel. Die Idee, dass nicht verwandte Personen eine Vormundschaft übernehmen, basiert auf einer Gesetzesreform vom Januar 2023. Diese ist sehr am Kind orientiert, um den bestmöglichen Vormund für das Kind zu finden. Aber wie schafft man das überhaupt? So entstand der Gedanke, einen kleinen Pool an ausgewählten Interessenten aufzubauen, die von uns geschult werden und anschließend für Vormundschaften zur Verfügung stehen. Damit steht eine Auswahl zur Verfügung, mit der wir als Kreisjugendamt dem Gericht den am besten geeigneten Vormund für ein Kind vorschlagen können. 

Wie hoch ist der Bedarf?

Der Bedarf ist riesig. Leider steigen die Zahlen, und die Amtsvormünder sind alle voll ausgelastet. Wichtig ist: Die ehrenamtliche Vormundschaft ist nicht als Sparmaßnahme zu verstehen. Denn ehrenamtliche Vormünder haben in der Regel mehr Zeit und mehr Kapazitäten, um sich mit dem Kind zu beschäftigen.

Was sind die Voraussetzungen, um ehrenamtlicher Vormund zu werden?

Zunächst gibt es das Infogespräch, bei dem ich alle kennenlerne. Zudem wird ein erweitertes Führungszeugnis benötigt, verpflichtend ist auch die Teilnahme am Vorbereitungsseminar. Danach folgt ein weiteres Gespräch zur Reflexion. Eventuell wird dann die finanzielle Situation überprüft, etwa ob es Einträge im Schuldnerverzeichnis gibt. Das geschieht aber nur, wenn ein Vormund die Vermögenssorge für ein Mündel bekommen soll und das Mündel vermögend ist. Der zeitliche Aufwand ist überschaubar, trotzdem sollte man natürlich etwas Zeit einplanen für die Vormundschaft. Im Schnitt sollte man mit drei Stunden in der Woche beziehungsweise zehn Stunden im Monat rechnen. Der Vormund hat die Pflicht, das Kind in dessen Zuhause mindestens einmal im Monat zu treffen. Zudem sollte der Vormund auch bei bestimmten Terminen, etwa bei Ärzten oder Therapeuten, dabei sein oder wenn es Probleme in der Schule gibt. Der Rest lässt sich größtenteils am Schreibtisch erledigen. Grundsätzlich ist eine gewisse zeitliche Flexibilität tagsüber nötig. Wer von 9 bis 17 Uhr arbeitet und zwischendurch kaum spontan raus kann, kann dieses Amt nicht übernehmen.

Es ist eine große Verantwortung, die man für ein fremdes Kind übernimmt. Wie wird sichergestellt, dass die Ehrenamtler geeignet sind und ihre Aufgaben richtig erfüllen?

Die meisten Interessenten melden sich erst einmal bei mir, und es gibt ein persönliches Infogespräch im Landratsamt. Dabei stellt sich die Person vor, berichtet alles rund um ihren persönlichen Hintergrund, ihre Motivation für die Vormundschaft und über ihre zeitlichen Kapazitäten. Vormund ist man in der Regel, bis das Kind 18 ist. Das heißt, die Dauer der Vormundschaft hängt vom Alter des Kindes ab. Wenn es erst sechs Jahre alt ist, dauert die Vormundschaft zum Beispiel zwölf Jahre. Deswegen würden wir zu Beginn einer ehrenamtlichen Vormundschaft zunächst nur Jugendliche vermitteln. Der potenzielle Ehrenamtler und das Kind oder der Jugendliche treffen sich zum Kennenlernen – zunächst unverbindlich, dann so oft, bis beide sicher Ja oder Nein zur Vormundschaft sagen können. Die Aufsicht darüber, ob die Vormundschaft korrekt geführt wird, hat das Familiengericht. Wenn das Jugendamt mitbekommt, dass eine Pflicht in der Vormundschaft nicht erfüllt wird, muss das Jugendamt den Vormund beraten und gegebenenfalls das Familiengericht über die eventuellen Pflichtverletzungen informieren.

Wer sind die Ansprechpartner für die ehrenamtlichen Vormünder?

Zum einen ich als Ansprechpartnerin des Jugendamtes und auch die Rechtspfleger im Familiengericht.

 

Wie ist das bei anderen schwierigen Fragen, etwa wenn man als Vormund gegen die Anschaffung eines teuren Handys ist? Kann man als Vormund gegen den Willen des Kindes oder Jugendlichen entscheiden?

Ja, der Vormund hätte das Recht, das abzulehnen. Also Handyverträge, Tattoos, Piercings, so Klassiker in der Jugendzeit. Deswegen ist es wichtig, dass der Vormund das Kind gut kennt. Sich vielleicht auch mit Pflegeeltern oder Heimbetreuern bespricht, und dem Kind dann erklärt, welche Gründe dagegen sprechen.

Was würden Sie Menschen sagen, die vielleicht noch unsicher sind?

Einfach bei mir melden und sich unverbindlich informieren. Gemeinsam können wir im Gespräch herausfinden, was der Ursprung der Unsicherheiten ist oder warum und wo es noch Bedenken gibt. Manchmal sind diese auch gerechtfertigt. Etwa weil man einfach nicht so viel Verantwortung tragen will, und das ist dann auch okay. Oder jemand ist gut im zwischenmenschlichen Kontakt, will aber nicht die Vermögenssorge übernehmen. Dann gibt es die Möglichkeit, nur bestimmte Aufgaben anzunehmen. Das Ziel wäre, dass sich Vormund und das Kind oder der Jugendliche gut verstehen. Gegenseitiges Vertrauen und eine gute Beziehung sind eine gute Basis für eine gut funktionierende Vormundschaft. Dafür muss die Chemie stimmen. Deswegen wollen wir die Kinder und Jugendlichen, die schon einen Amtsvormund haben, selbst auswählen lassen und schauen, welche Ehrenamtlichen gut dazu passen würden. Die Kinder und Jugendlichen haben Mitbestimmungsrecht. Sobald sie 14 sind, dürfen sie auch einen Vormund ablehnen. Sogar einen Amtsvormund.

Kann man auch Vormund werden, wenn man selbst Familie hat? Und wie ist eine Vormundschaft mit dem eigenen Familienalltag vereinbar?

Im Idealfall treffen sich der Vormund und das Kind oder der Jugendliche nicht nur zu Hause und sprechen darüber, wie es in der Schule läuft, sondern machen vielleicht auch gemeinsam einen Ausflug, gehen ins Kino, essen mal Eis. Wenn die sich richtig gut verstehen, dann kann das Kind oder der Jugendliche auch den Vormund zu Hause besuchen, man kocht gemeinsam oder unternimmt einen gemeinsamen Familienausflug.

Das kann man von einem Vormund aber nicht grundsätzlich erwarten, manche wollen ihre Privatsphäre. Aber wenn es gut läuft, dann kann es auch für den Vormund wertvoll und eine Bereicherung sein. Eben eine Beziehung, die für beide einen Mehrwert hat, wenn der Vormund nicht nur jemand ist, der Unterschriften setzt.

Tina Blum

Seminar für Interessierte

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