Ergriffen vom Zauber der Heiligen Nacht

von Redaktion

Für den Oberaudorfer Organisten Jürgen Doetsch ist Weihnachten ohne Orgelklänge undenkbar. Seit seinem 14. Lebensjahr spielt er an Heiligabend eine ganz besondere Messe und prägt so das Weihnachtsfest in der Region maßgeblich mit.

Oberaudorf/Inntal – Es gibt kein Fest, das so mit Musik durchdrungen ist wie Weihnachten. Schon in der Adventszeit hören wir es aus allen Lautsprechern singen und klingen, auf den Weihnachtsmärkten spielen Bläsergruppen oder eine Saitenmusik, und wenn es sich zeitlich irgendwie ausgeht, besuchen wir ein Weihnachts- oder Adventskonzert in einer Kirche oder in einem Konzertsaal. Dabei wird klar: Jeder, der fiedelt, bläst, zupft, singt oder auf die Pauke haut, ist im Einsatz, angefangen vom Musikschulkind bis zum Profi-Sänger. Und dann gibt es einen, ohne den Weihnachten undenkbar wäre, ja quasi ausfallen würde: den Organisten auf der Orgelempore.

„Auf seine Weise
ein Genie“

Einer von ihnen ist Jürgen Doetsch aus Oberaudorf, auch bekannt als Leiter des Inntalchores, Komponist und durchdrungen von Musik unterschiedlicher Stilrichtungen. Der unvergessene Klaus J. Schönmetzler schrieb einmal über ihn: „Er ist auf seine Weise ein Genie. Vielleicht sogar das einzige, das wir in dieser Gegend haben.“ Genie hin oder her, jeder Musiker muss eine Begabung haben und vor allem eines: üben, üben und nochmal üben. Bis dann irgendwann der richtige Zeitpunkt kommt, sein Können unter Beweis zu stellen. Doetsch war 14 Jahre alt, als er es tat. Irgendwer hörte ihn Klavier spielen und lud ihn zum Casting für die Christmette ein. Im Oberaudorfer Hotel Lambacher, wo immer geprobt wurde, saßen Chorleiter und Rektor Blasbichler sowie andere Honoratioren des Kirchenchores und forderten ihn auf, den Kaiserwalzer von Johann Strauß zu spielen, der so gar nicht weihnachtlich daherkommt. Anschließend musste der 14-Jährige den Raum verlassen und es wurde darüber beraten, ob er sich dafür eigne, in der Pastoralmesse von Karl Kempter am Heiligen Abend den Orgelpart zu übernehmen.

Ob der Beschluss einstimmig war, kann Doetsch nicht sagen, aber seitdem spielt er jedes Jahr am Heiligen Abend diese berühmte Weihnachtsmesse, die nur in dieser Nacht landauf, landab von den Choremporen klingt. Die Pastoralmesse in G-Dur, Opus 24, von Karl Kempter ist eine Art „One-Hit-Wonder“, obwohl der Komponist unermüdlich arbeitete und zahlreiche Werke schuf. Sie ist sein wohl bekanntestes Werk und war am Heiligen Abend 1851 zum ersten Mal zu hören. Großen Wert legte Kempter darauf, dass seine Kompositionen sowohl von kleinen Laienchören als auch in üppiger Besetzung mit großem Chor und vollem Orchester aufgeführt werden können. Seine lateinischen Messen seien „zum Gebrauche gut besetzter Land- und kleinerer Stadt-Chöre“ geeignet.

Der Vater von Kempter erkannte schon bald die hohe Musikalität seines Sohnes und war bemüht, diesem eine solide musikalische Grundausbildung zu erteilen. So gefördert, widmete sich Karl Kempter schon früh der Musik und erwies sich als vielversprechendes Talent an der Orgel.

Im Gegensatz zu Karl Kempter wuchs Jürgen Doetsch ohne Vater auf. Er ist, wie er selbst sagt, Autodidakt, der seine Musikalität von seinem Vater, der Jazzmusiker war, geerbt hat. Obwohl Jazzmusik eine seiner großen Leidenschaften ist, konzentrierte er sich früh auf das Orgelspielen und wurde bereits mit 17 Jahren Organist in der Kirche Heilig Familie in Thansau. Auch hier saß er zum ersten Mal am Heiligen Abend auf der Orgelbank mit der Pastoralmesse von Karl Kempter, mit der wahrscheinlich alle Streicher, Bläser und Pauker in die Kirchenmusikszene einsteigen, Geiger vornehmlich mit der sehr einfach gehaltenen zweiten Stimme. „Man kann sich die Wirkung dieser Musik nicht erklären, vielleicht ist es die Einfachheit der Messe, die in die Tiefe des Herzens geht“, sagt Doetsch über die bekannte Weihnachtsmesse, die mit einem kleinen Flöten-Solo beginnt. Dazu kämen noch weitere „One-Hit-Wonder“, also Stücke von Komponisten, die sonst nicht viel gespielt werden.

Oratorien
und Symphonien

Dazu gehört auch das ebenfalls nur an Weihnachten aufgeführte „Transeamus usque Bethlehem“, das eigentlich dem Domkapellmeister Joseph Ignaz Schnabel aus Breslau zugeschrieben wird, dessen Herkunft aber nicht ganz geklärt ist. Er hat es zumindest für Chor und Orchester arrangiert.

Das tut Jürgen Doetsch ebenfalls gerne: arrangieren und komponieren, Gedichte vertonen und große Oratorien und Symphonien schreiben, die aber oft nur ein einziges Mal aufgeführt werden. Doch auch er schreibt Weihnachtsmusik, und so kann man dieses Jahr die Oberaudorfer Turmbläser hören, mit einem extra für sie komponierten Stück. Hoffentlich kein „One-Hit-Wonder“.

Da stellt sich die Frage, wie Musiker Weihnachten feiern, denn spätestens um 21 Uhr oder 22 Uhr ist Schluss mit der Weihnachtsstimmung am festlich geschmückten Christbaum. Instrument und Noten werden zusammengepackt, eine dicke Winterjacke angezogen. Womöglich muss man sein Auto noch freischaufeln oder abkratzen, damit man rechtzeitig auf der Chorempore ist, wo es meistens sehr kalt ist um diese Jahreszeit.

Die Instrumente müssen gestimmt werden, vielleicht gibt es eine kurze Anspielprobe, bevor die Christmetten-Besucher kommen.

Ob denn die Finger da oben nicht einfrieren? „Nein, die funktionieren ganz von selbst und flitzen über das Orgelmanual, als ob sie ein eigenes Gehirn hätten“, sagt Doetsch und lacht. Weihnachten und die Pastoralmesse von Karl Kempter gehörten für ihn einfach zusammen.

„Ich will Weihnachten in seiner Gesamtheit erleben“, sagt der gläubige Christ. Weihnachten sei ein fröhliches Fest, darum baue er bereits zur Kommunion das Kinderlied „Fröhliche Weihnacht überall“ ein, bei dem er dann beim Auszug sämtliche Orgel- und Gefühlsregister zieht. Doch der Höhepunkt jeder Christmette sei „Stille Nacht, heilige Nacht“ von Franz Xaver Gruber, das seit seiner Uraufführung 1818 in 320 Sprachen übersetzt auf der ganzen Welt gesungen wird. „Da muss es ganz dunkel sein und ich schließe die Augen“, schwärmt Jürgen Doetsch von diesem Moment. Das mache alle Menschen für einen kurzen Moment zu Gläubigen. Natürlich wird auch im Hause Doetsch, in der früheren Gaststätte Auerburg am Burgtor in Oberaudorf, Weihnachten gefeiert, bevor es in die Christmette geht. „Die ganze Familie kommt zusammen, wir sind zu acht, meine Frau, ich und meine drei Töchter mit ihren Partnern.“ Es gebe Fondue wie bei vielen anderen Familien und es werde auch „Stille Nacht“ gesungen. Doch dazu legt Jürgen Doetsch eine Platte aus seiner umfangreichen Sammlung auf, und zwar vom Tenor Rudolf Schock, einem Opern- und Operettenstar der Fünfzigerjahre.

Ein großer Moment
unter Tränen

Auch in der Adventszeit wird Musik gehört: „Da habe ich mir eine Mischung aus Liedern der Chorgemeinschaft Neubeuern und Hans Berger zusammengestellt, besonders mag ich ‚Machet die Tore weit‘ von den Neubeurern.“

Das wird er am Heiligen Abend auch in der Pfarrkirche Heilig Kreuz in Kiefersfelden tun: die Tore der Herzen weit aufmachen, mit der Pastoralmesse, dem Transeamus und Stille Nacht, das er auch in vielen Seniorenheimen spielt und die Bewohner zum Mitsingen animiert. Auch hier ist es immer ein großer Moment, oft mit Tränen.

Weihnachten ohne Musik ist für Jürgen Doetsch undenkbar. Die Christmette mit der Pastoralmesse in G-Dur von Karl Kempter mit dem Kirchenchor Kiefersfelden unter der Leitung von Christof Danner und Jürgen Doetsch an der Orgel beginnt um 22.30 Uhr in der Pfarrkirche Kiefersfelden. Und in vielen weiteren Kirchen in der Region: der Zauber der Heiligen Nacht.

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