Am Ende schlägt das Herz

von Redaktion

Ingo Bracke und seine immersive „LichtOper“ in Kiefersfelden – Raunächte auf besondere Weise erleben

Kiefersfelden – Zwischen den Jahren, in der Zeit der Raunächte, die vom Loslassen des Alten und dem Aufbruch in etwas Neues geprägt ist, präsentiert der Künstler Ingo Bracke eine immersive „LichtOper in ZwischenWelten“. Diese Performance findet vom Freitag, 29. Dezember, bis zum Montag, 2. Januar, in der Pfarrkirche Heilig Kreuz in Kiefersfelden statt. Die Raunächte sind traditionell eine Zeit, in der Häuser ausgeräuchert werden, um sie zu schützen, und in der sich Tore zu Welten jenseits unserer Wahrnehmung öffnen. Im Inntal werden diese Zwischenwesen durch Pass-Gruppen und Kramperl sichtbar. Auch Geister wie die Drud, die angeblich in die Wäsche fährt, wenn diese in den Raunächten draußen aufgehängt wird, spielen eine Rolle.

Grenzen zur
Realität verschwimmen

Ingo Bracke greift dieses Thema auf und schafft ein Erlebnis, bei dem die Grenzen zur Realität verschwimmen. „Die Kirche ist der perfekte Ort für meine Projektion“, so der Künstler, der vor vielen Jahren bereits die Installation „Felsenzauber“ in der Gießenbachklamm schuf. Damals schickte eine märchenhafte Heldengeschichte die Besucher auf eine Erkenntnisreise. Nun regt er mit seiner „LichtOper“ zu einer weiteren Erkenntnisreise an. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer aus Neuenahr-Ahrweiler, der Medienkunst, Bühnenbild und Architektur studierte, kreiert mit großem technischen Aufwand neue Klang- und Videowelten. Auf der Chorempore der Kiefersfeldener Kirche erhält man einen Einblick in die Technik hinter seiner „LichtOper“: Mehrere Laptops steuern Beamer und Lautsprecher, auf denen die Rohdaten der Bilder und Musik gespeichert sind. Diese werden bei jeder Vorstellung live neu gemischt und kombiniert. Ingo Bracke erklärt: „Es wird jedes Mal ein bisschen anders sein.“ Alle Bilder, die später für die Videoprojektion digital aufbereitet werden, malt der Künstler selbst. Ingo Bracke verwendet dabei zentrale Symbole und einfache Formen, die auch in der Archetypen-Lehre des Schweizer Psychiaters C.G. Jung eine große Rolle spielen. Diese Urbilder trägt jeder Mensch in sich und versteht sie. Eines dieser Symbole ist die Mandorla oder Mandel-Form. Wenn zwei Kreise überlappen, entsteht eine Mandel, ein oben und unten zugespitztes Oval, das weltweit in allen Religionen vorkommt. Im christlichen Kontext symbolisiert sie die Form der Schutzmantel-Madonna. Im übertragenen Sinne kann sie auch die Zwischenzeit symbolisieren, die ein zentrales Thema in seiner „LichtOper“ ist. Wenn sich das alte und das neue Jahr überlappen, entsteht dieser mandelförmige Zwischenraum. Bracke betont: „Archetypische Symbole sind transkulturell, sie sind eine narrative Ebene ohne Sprache und werden unabhängig von Bildung und Herkunft verstanden.“ Die überlappenden Kreise und die daraus entstehende Mandorla bilden ein Fraktal, eine sich ständig bis ins Unendliche wiederholende Form, die jenseits des Bewusstseins wahrgenommen wird. Ingo Bracke forschte jahrelang an Symbolik und sieht die Mandorla als eine zentrale, wiederkehrende Form mit großer Kraft. Sie steht auch für Trinität, das Dreiergespann, angefangen von der Dreifaltigkeit bis zur Trinität in der Familie: Vater, Mutter, Kind.

„Wir Pfälzer haben diese Raunachts-Tradition wie hier nicht, aber sie hat eine extrem spirituelle Dimension, der man sich nicht entziehen kann.“ Seine „LichtOper“ sei wie ein emotionales Kunstritual, das gerade in einer Kirche seine Wirkung entfaltet. Zudem wird die „LichtOper“ live von Karl Knöpflen an der Orgel begleitet. Der aus Kaiserslautern stammende Organist erweitert die visuellen Ebenen um eine körperlich erfahrbare Klangdimension mit Werken von Johann Sebastian Bach, Oliver Messiaen und Arvo Pärt. Karl Knöpflen lässt den Kirchenraum atmen und verbindet die projizierten Bilder mit einer musikalischen Präsenz, die den Raum von innen heraus formt.

Die Kirche nutzt Ingo Bracke nicht nur innen als Projektionsfläche, sondern auch außen. In den Raunächten um Silvester werden leuchtende Botschaften eine vielfältige Wirkung auf das gesamte Umfeld haben und weithin sichtbar sein.

Wirkung entsteht
im Inneren

Die Wirkung der Bilder und Klangwelten seiner „LichtOper“ lasse sich nicht verordnen. Sie entstehe im Inneren des Einzelnen, so Bracke. Ob man sich tragen lässt oder auf Distanz bleibt, hängt davon ab, wie weit man bereit ist, sich auf das Unbekannte einzulassen. Ingo Bracke sagt: „Die Wirkung kann sehr stark sein. Sie wächst mit der Offenheit des Betrachters.“ Am Ende zieht sich die vielschichtige Bild- und Klangwelt auf einen einzigen Punkt zusammen: einen akustischen und visuellen Herzschlag. Nach dem Durchstreifen der „ZwischenWelten“ kehrt der Blick, der sich im Raum verloren hatte, zurück zu seinem Ursprung – zum Inneren.

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