Führt Gott uns in Versuchung?

von Redaktion

Zur Debatte um dem Wortlaut des Vaterunser (überregionaler Teil) und zu Leserbriefen:

In meiner Muttersprache Aramäisch heißt die betreffende Stelle „…und führe uns nicht in Versuchung…“: „…ulo ta’lan l Nesjuno…“ [u bedeutet „und“, „lo“ bedeutet „nicht“, „ta’lan“ bedeutet „du wirst uns bringen“, „l“ (das ist ein kleines L, kein großes i) bedeutet „in…hinein/zu“, „nesjuno“ heißt „die Versuchung“]. Es heißt also Wort für Wort übersetzt: „…und Du wirst uns nicht in die Versuchung hinein bringen…“ oder „…und Du wirst uns nicht zur Versuchung bringen…“. Der Imperativ wird übrigens im Aramäischen mit „lo“ (bedeutet „nicht“) plus zweite Person Futur ausgedrückt. Wo also im Deutschen der Imperativ „führe“ steht, steht im Aramäischen eigentlich die Futurform „Du wirst bringen“. Da aber vor dem aramäischen „ta’lan“ die Verneinung “lo“ steht, ist für den Aramäer klar, dass es sich hier nicht um eine bloße Futurform, sondern um einen Imperativ handelt. Daher muss diese Stelle im Deutschen auch mit Hilfe eines Imperativs übersetzt werden, um dem Kontext gerecht zu werden. Also: „…und bringe uns nicht in die Versuchung hinein…“ oder „…und bringe uns nicht zur Versuchung…“. Das aramäische „nesjuno“ heißt nur Versuchung, und kann nicht mit Prüfung übersetzt werden. Es gibt auch das aramäische Wort ‚nesjono‘, das mit nesjuno verwandt ist und so viel wie ‚Probe‘ oder ‚Prüfung‘ bedeutet. Aber nesjuno ist eindeutig als Versuchung zu verstehen. Einige moderne Aramäisch-Wörterbücher sagen, dass nesjuno sowohl Versuchung als auch Probe heißen kann, aber das ist falsch, weil Probe eben nesjono mit ‚o‘ ist. Für einen Aramäer klingt also die Formulierung „…und führe uns nicht in Versuchung…“ so, wie die Stelle gemeint ist, weil zwischen „führe…in“ und „bringe…in…hinein“ kein wirklicher Unterschied besteht. Aus diesem Grund ist eine Abänderung der Übersetzung überflüssig.

Philipp Erdinc

Salzburg

Endlich: Ein Papst denkt mit! Es war allerhöchste Zeit, dass dieses Thema kirchli-cherseits von ganz oben angegangen wird. Was stört Papst Franziskus an der aktuellen Vaterunser-Version? Gott führe niemand in Versuchung, derjenige, der in Versuchung führt, sei der Satan! Exakt damit habe ich übrigens vor zwei Jahren den Präses der Bayerischen Kapuziner, P. Marinus Parzinger, dieses Thema betreffend konfrontiert (er hatte in zwei Kirchenzeitungen in einer Fortsetzungsreihe das Vaterunser erläutert). An dem ehernen Faktum, dass Gott nicht in Versuchung führt, kann auch das seichteste Gegenargument nicht rütteln. Werfe man doch einen Blick in die Bibel zu Jak.1,13: „Wenn ein Mensch in Versuchung gerät, soll er nicht sagen: Gott hat mich in Versuchung geführt. So wie Gott nicht zum Bösen verführt werden kann, so verführt er auch niemand dazu.“ Folglich hat die sprachliche Formulierung dies klar zum Ausdruck zu bringen. Dies stattdessen ins Gegenteil zu kehren, wie es seit undenklichen Zeiten geschieht, ist pure Gotteslästerung, indem man unserem guten und erhabenen Gott quasi die Maske Satans übers Gesicht streift. Die Fakten liegen also klar auf dem Tisch und diese dürfen nicht durch den Gebetstext konterkariert werden. Schließlich stellt es auch eine Lästerung Jesu in sich dar, ihm einen solch dürftigen Intelligenzquotienten anzudichten, dergestalt, er habe diesen Wortlaut so zu beten gelehrt. Vielmehr scheinen mir da im Laufe der Jahrhunderte manch zweifelhafte Gehirne am Werk gewesen zu sein. War Bischof Voderholzer da bei seiner Feststellung, Jesus dürfe nicht „korrigiert“ werden, womöglich auch von einem Anflug geistiger Verwirrung geplagt?

Alois Reitberger

Babensham

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