Zum Thema „Rechtsprechung und Menschenverstand“ (Leserbriefe und Politikteil):
Wenn man diese Leserbriefe liest, kann man ahnen, was auf uns Demokraten zukommt, wenn an dem Grundpfeiler der Demokratie, der Gewaltenteilung, gebohrt wird. In Ungarn und Polen ist man schon so weit, dass es auf das Rechtsempfinden der Regierungspartei ankommt, ob Gerichtsurteile akzeptiert werden, sogar noch nach Bestandskraft des Urteils. Bei uns Gott sei Dank noch nicht, zumal sich der NRW-Innenminister Reul nun für seine Richterrüge entschuldigt hat. Auf das Rechtsempfinden welcher Bürger und zu welchem Zeitpunkt soll es ankommen, wenn ein eifriger Leserbriefschreiber glaubt, „mehr Hirn zu haben als diese Verwaltungsrichter“ oder ein weiterer nur auf seinen „gesunden“ Menschenverstand abstellt? Zumindest hat der dritte Leserbriefschreiber erkannt, dass für die Änderung von Gesetzen der Bundestag zuständig ist. „Obsta initiis“-wehre den Anfängen.
Hans-Werner Högl
Rosenheim
Eigentlich alles eindeutig: Ein deutsches Innenministerium ignoriert die Rechtslage und wird dafür von einem Verwaltungsgericht zur Rechenschaft gezogen. Weil sich das auf dem Feld der Asyl-, Migranten- und Einwanderungsdiskussion abspielt, verursacht das nicht nur innenpolitische, sondern auch außenpolitische Irritationen. Aber: Nächstes Jahr wird es 70 Jahre alt – unser Grundgesetz. Kein altersschwacher Grufti, sondern starkes Fundament unseres Rechtsstaats, auf das wir stolz sein sollten. Das in Zweifel zu ziehen mit Vorwürfen, dass „gegen das Rechtsempfinden der Bevölkerung“ vor Gerichten Schauveranstaltungen verhandelt werden, ist schon ein starkes Stück und gipfelt in der Feststellung, dass das NS-System „nicht durchgesetzt hätte werden können, wenn der gesunde Menschenverstand in Anspruch genommen worden wäre“. Noch dazu Herrn Stemberger vorzuwerfen, „er oute sich selbst als Feind der Demokratie“, weil er Herrn Anastasiadis heftig kritisiert, ist hanebüchen. Da fehlt ja gerade noch „das gesunde Volksempfinden“! Diese Leserbriefe mahnen eindringlich, dass Demokratie und Rechtsstaat kein Selbstläufer in den Köpfen der Menschen sind, sondern immer wieder aufs Neue verteidigt und dafür gekämpft werden muss.
Klaus Stang
Grassau
Nicht nur unsere Brücken, auch unser sogenannter Rechtsstaat ist meiner Meinung nach marode geworden. Eine Staatsordnung, die aus bürokratisch-formalistischen Gründen das Persönlichkeitsrecht von Terroristen höher einschätzt als die Sicherheit und das Recht ihrer eigenen Bürger, ist doch wirklich nicht erhaltenswert.
Herbert Gaiser
Samerberg
Gar mancher Leserbrief- schreiber
scheint bei der hier vorliegenden Thematik das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen nach dem Motto „Stimmt das Ergebnis, ist jegliche rechtsstaatliche Ordnung über Bord zu werfen.“ Zu entscheiden sei allein nach dem sogenannten gesunden Menschen- verstand. Haben sich demnach die Gerichte daran zu orientieren oder vielleicht doch an den gesetzlichen Vorgaben? Wir haben Gott sei Dank – das wird gerne vergessen – das Gewalten- teilungsprinzip im Grund- gesetz verankert. Davon ist das Leben eines Rechtsstaates abhängig. Die Verwaltung hat diesen fundamentalen Grundsatz missachtet und sich über eine vorläufige Entscheidung des Gerichts als zweite Gewalt im Staate hinweg- gesetzt. Zur Gewaltenteilung gehört auch die Achtung der jeweiligen Kompetenzen. Autokraten sind daher bemüht, dieses Rechtsstaatsprinzip abzu- schaffen (siehe Polen, Ungarn, Türkei, Russland). Wehret daher den Anfängen. Man darf also umgekehrt fragen, ob die Leserbrief- schreiber aufgrund ihres in erschreckender Weise zutage tretenden mangelnden rechtsstaatlichen Denkens noch richtig ticken. Es ist nicht unser Rechtssystem krank, sondern das fehlende rechtsstaatliche Bewusst- sein. Offensichtlich ist man nie gewillt, aus der Geschichte zu lernen. Das hier zum Ausdruck gebrachte vorrangige Handeln von Verwaltung und Politik kommt einer „Gleich- schaltung“ verdächtig nahe.Erich Endter
Kolbermoor