Das Neue Testament ist kein Zeitzeugenbericht

von Redaktion

Zu „Wer trägt Schuld am Tode Jesu?“ (Leserbrief):

Die vier Evangelisten waren keinen „Zeitzeugen“, weil sie ihre Passionsgeschichten erst 40 bis 70 Jahre nach der Kreuzigung Jesu niederschrieben. Keiner von ihnen berichtet darüber aus eigenem Erleben, sondern sie geben die Ereignisse nur vom Hörensagen her oder nach freier Erfindung wieder. Die in der Bibel überlieferten „wörtlichen Reden“ zwischen Pilatus und „den Juden“ sind deshalb auch niemals wortwörtlich so gesprochen worden. Es handelt sich hierbei um frei konstruierte literarische Dialoge, wie sie schon in griechisch-römischen Schauspielen und auch in der antiken Geschichtsschreibung vorkommen. Damit kann man nichts beurteilen. „Die Passionsgeschichte zeigt, wie die Evangelisten die historischen Daten und Fakten manipuliert haben. Sie ist eine politische Tendenz-Geschichte, welche die Christen von dem Ruf der Feindlichkeit gegenüber dem römischen Staat reinwaschen soll. Und deshalb behaupten sie wahrheitswidrig: Nicht Pilatus, der Römer, sondern die Juden haben Jesus umgebracht. Damit ist das Fundament zu einer langen und blutigen Verfolgung der Juden als den angeblichen Mördern Christi gelegt.“ (frei zitiert nach Uta Ranke-Heinemann) Objektiv betrachtet tragen weder die angeblich gegen ihn hetzenden Juden noch die ihn tatsächlich kreuzigenden Römer eine „Schuld“ am Tode Jesu, sondern nur dieser selbst. Denn er beanspruchte „König der Juden“ zu sein, und beging damit Hochverrat, worauf die Todesstrafe stand. Pilatus ahndete mit der Kreuzigung Jesu eigentlich nur dessen Verstoß gegen ein Strafgesetz. Damit lud er keine Schuld auf sich, sondern erfüllte nur seine Pflicht als Richter. Mit dieser ehrlichen Darstellung widerspricht man allerdings einem Tabu des Christentums, nämlich dass Jesus angeblich unschuldig ans Kreuz genagelt wurde und dort für die Sünden der Menschen starb.

Ulrich Kretzmar

Prien

Zur Schuldfrage der Hinrichtung Jesu könnte ein Leitgedanke des Juden Jesus, der für Christen, Juden wie Muslime bedeutsam wie auch anstößig ist, weiterhelfen. So sagt er in der Bergpredigt sinngemäß: „Ihr schafft keine bessere Welt und Gerechtigkeit, wenn ihr nur die bestraft, die konkret töten, und all jene, die verteufeln, immer wieder ausgrenzen und Feindbilder erzeugen, straflos laufen lässt“. Solange nicht wenige Deutsche glauben, allein die moralischen Weltmeister bei der Schuldabtragung sein zu müssen, wird meiner Meinung nach eine Abneigung gegen Jüdisches unterschwellig erhalten bleiben. So werden die Deutschen beim Anblick des Holocaust-Denkmals in Berlin von mehr als 1000 Zementsäulen einseitig auf die Verbrechen im Dritten Reich festgelegt, ohne dabei an die mehr als 2000 Jahre alte Ausgrenzungen und Verfolgungen zu denken, die nicht nur in Deutschland allein geschehen sind. Ohne die dabei vorgeheizten geistigen Gasöfen wäre es auch sicher nicht zu den Massenmorden in den Gaskammern der NS-Zeit gekommen. Bedenklich, wenn solche Gedanken über Denkmäler meistens schon als judenfeindlich angesehen werden. Es wäre so auch kurzsichtig, wenn man die Hinrichtung Jesu einseitig auf Pilatus, die Römer oder die jüdischen Hohepriester festlegen würde. In einem Bild von Hieronymus Bosch sind viele Mitspieler am Tode Jesu eindrucksvoll dargestellt.

Simon Kirschner

Bad Endorf

Für gläubige Christen mag das Neue Testament eine historische Wahrheit sein. Für andere stellt sich die Frage: Wie wurden die Evangelien überliefert? In Wirklichkeit existiert kein Original und ist überhaupt kein biblisches Buch in seinem ursprünglichen Wortlaut erhalten. Die Historiker stellten fest, es liegen nicht mal die ersten Abschriften vor. Es gibt nur Abschriften von Abschriften von Abschriften. Der Text des Neuen Testaments ist ein Mischtext, der aus verschiedensten Überlieferungen zusammengestückelt wurde. Er beruht auf griechische Handschriften, alten Übersetzungen und oft aus dem Gedächtnis angeführten neutestamentlichen Zitaten der Kirchenväter. Zudem wurden die Geschichten in einem syrischen Dialekt, dem Aramäischen, erzählt und von den ältesten Anhängern auf Aramäisch weitergegeben. Die Evangelien wurden dann griechisch abgefasst und darum liegt im Wichtigsten bereits eine Übertragung vor, und zwar keine Übertragung gleichartiger aramäischer Schriften, sondern lediglich einer mündlichen. Die Forschungen betonen, dass hier leicht Veränderungen stilistischer Art, als auch Hellenisierung, gerade bei schwierigen und unbequemen Wendungen möglich gewesen sind. Das Abschreiben der Evangelien vollzog sich nicht fehlerfrei. Zwei Jahrhunderte waren sie unabsichtlich und absichtlich den Eingriffen der Kopisten ausgesetzt. Wegen dieser fragwürdigen Geschichten, die vor 2000 Jahren stattfanden, sollte man die Anklage an ein Volk mit anderer Religion bleiben lassen und Christen sollten meiner Meinung nach dankbar sein, dass Leute bereit waren. Jesus zu töten, sonst gäbe es keine Heilslehre. Was hätten sie sonst für eine Religion?

Gudrun Baumann-Sturm

Raubling

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