Zu den Berichten „Afghanisches Paar soll Tochter getötet haben“ und „Dutzende ‚Ehrenmorde‘ in Deutschland“ (Weltspiegel):
Trotz ihrer Dominanz sind die Männer in den Gesellschaften des Nahen Ostens schwach und verletzlich. Sie sind Individuen einer Gemeinschaft mit rigorosen Regeln und Praktiken und bestrafen jeden, der diese verletzt. Werden sie der Ehrlosigkeit bezichtigt, die ihre Töchter oder Frauen vermeintlich über sie gebracht haben, fürchten sie den Ausschluss und reagieren mit Gewalt. Der Mord ist wie eine Entschuldigung an diese Gemeinschaft, mit der sie sich von der „Schande“ reinwaschen.
Jedes Mal, wenn der Name einer ermordeten Frau bekannt wird, die von ihrer Familie, ihrem Partner oder einem anderen Mitglied der patriarchalen Gesellschaft getötet wurde, denke ich daran, wie viel Schmerz diese Frau vor ihrem Tod durchlitten haben muss. Wie viele Qualen sie immer wieder erlitten hat, bis die letzte ihre Seele genommen hat. Ich frage mich, wie es sich anfühlt, wenn die letzten Momente im Leben so beängstigend und über allen Maßen schmerzhaft sind, wenn du von deiner eigenen Familie ermordet wirst, in ihre Augen blickst und nichts siehst als Hass und Entschlossenheit, dich umzubringen.
Ihre Leben werden auf die furchtbarste Art und Weise beendet. Zu Tod gefoltert, verbrannt, erhängt und begraben von der eigenen Familie. Die Täter töten in diesem letzten Akt die physische Existenz der Frauen, aber ihre Seelen haben sie schon lange vorher ermordet. Als Mädchen wachsen sie in Familien auf, die ihnen sagen, dass sie ihre Stimme senken, gebeugt gehen und nicht aufschauen, nicht springen oder wie Jungs spielen sollen.
Sie dürfen keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sie dürfen keine Meinung haben, und ihre Ausbildung gilt als nutzlos. Wenn sie sich dann doch aufrichten und diesen Vorgaben widersetzen, kommen die Todesdrohungen. So lernen sie, dass ihre Leben billig und unwichtig sind. Und dass man es Ehre nennt, sie zu ermorden.
Wenzel Schuster
Töging