Ich lebe gern im Rosenheim der Gegenwart, aber…

von Redaktion

Zum Bericht „Die Geburtsstunde der OVB-Heimatzeitungen“ (Sonderteil):

Bei Betrachtung des Markts Rosenheim um 1830 und des Rosenheimer Wochenblatts von 1855 könnte man schon sehr nachdenklich werden. Da sitzt also ein Mensch anno 1855 in finsterer Stube in einem Haus ohne Heizung, Elektrizität, fließend Wasser fröstelnd beim Frühstück (vielleicht schon mit Kaffee) und liest im Wochenblatt, das damals fast nur aus amtlichen Mitteilungen besteht. Und nach dem Frühstück ist sie oder er in einem unsicheren sozialen oder politischen Umfeld den ganzen Tag hart arbeitend damit beschäftigt, das Überleben der Familie im Winter zu sichern. Als Gegenwartsmensch genieße ich den Komfort moderner Haustechnik und erwarte ganz selbstverständlich, dass meine Zeitung (meist OVB) zum Frühstück ein hohes Maß an Information und Unterhaltung bereithält, mit Artikeln, Kommentaren, aktuellen Meldungen, Lokalreportagen, Fotos, Kreuzworträtsel und, und… Nach dem Frühstück muss ich mir keine Sorgen um meine Existenz machen, sondern kann in aller Ruhe einen Leserbrief schreiben. Ab und an werde ich jetzt daran denken, dass aller Komfort, alle modernen Produkte und Techniken, auch die Demokratie als beste aller Gesellschaftsformen letztlich auf den Leistungen und Entbehrungen unserer Vorfahren beruhen einschließlich der Geistesblitze, Erfindungen und weitsichtigen politischen Entscheidungen „besonders kluger“ Leute in der menschlichen Spezies. Ich lebe gerne im Rosenheim der Gegenwart, hatte aber neulich einen Albtraum: Die Stadt und der Landkreis bestanden nur noch aus Betonwüsten, Gewerbegebieten, Autobahnen und Bahntrassen, überall SUVs, Lkw und Güterzüge, ein lärmendes Inferno einer hyperaktiven hochtechnisierten Zivilisation. Einfach gruselig.

Ferdinand Wagner

Rosenheim

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