Zum Bericht „Der erste Tag von Missionar Leo XIV.“ (Politikteil):
Der neue Papst beklagt den Verlust des christlichen Glaubens, der mit dramatischen Folgen für die Menschen einhergehe. Hier geht der Papst von einer falschen Annahme aus: Er glaubt, die Nächstenliebe sei eine Erfindung des Christentums.
Eine einfache Überlegung hilft. Wie konnte es sein, dass die Menschen vor dem Christentum schon rund zwei Millionen Jahre überlebt haben? Der Mensch ist im Vergleich zu den großen Tieren in jeder Hinsicht ein Schwächling. Er kann nicht so schnell laufen, ist nicht so stark, sein Gebiss ist wenig ausgebildet. Wenn es darum geht, auf den Baum schnell zu klettern, dann ist er viel zu langsam. Wie konnte er so lange, so erfolgreich überleben?
Man kann dies mit zwei Begriffen umschreiben: care and share. Das bedeutet: füreinander sorgen und Bereitschaft zum Teilen. Leider haben wir noch ganz falsche Vorstellungen von der Zeit der Jäger und Sammler. Man glaubt bis heute, dass die Menschen vor der Erfindung der Schrift primitiv, roh, gewalttätig und feindselig waren. Dies ist in der Wissenschaft heute längst widerlegt. Das Teilen ist dem Menschen buchstäblich in die Wiege gelegt.
Ich erinnere mich an ein Foto, auf dem ein kleines Kind gezeigt wurde, das seinem Hund ein Eis hinhält. Woher stammt dieser Impuls, zu teilen? Dieses Kind hat noch keinen Religionsunterricht gehabt. Die Sorge um den anderen Menschen oder ein Tier ist buchstäblich in der ersten Natur angelegt. Es ist keine Erfindung des Christentums. Alle Religionen lehren dies. Übrigens hat Jesus viele Verhaltensweisen aus der Jäger- und Sammlerzeit übernommen: kein fester Wohnsitz, seine Skepsis gegenüber dem Eigentum, das gemeinsame Mahl. Der innerste Kern und Ausdruck seiner Lehre ist die Bereitschaft, zu teilen.
Josef Grundner
Stephanskirchen
Der neue Papst möchte Brückenbauer sein und äußert diese Worte: „Wo der Glaube verloren geht, beginnen oft dramatische Begleiterscheinungen, der Mensch verliert den Sinn seines Lebens, die Barmherzigkeit wird vergessen, die Würde verletzt und es kommt zu Krisen in den Familien.“ Das ist respektlos gegenüber Konfessionslosen und Glaubensfreiheitlichen.
Es steht dem Papst nicht zu, sich über diese Menschen negativ zu äußern. Religionsfreiheit, auch Weltanschauungsfreiheit, sind Grund- und Menschenrechte. Es steht niemandem zu, diese Menschen zu diffamieren und ihnen negative Eigenschaften anzudichten.
Auch unter Gläubigen kommt es oft vor, sich selbst zu töten. Wo wird da der Sinn des Lebens verstanden? Millionen von Menschen verließen ihre Religion, sie können ohne einen Gott ein moralisches, sittliches Leben führen. Sie sind mental selbstständig und brauchen keine biblischen Märchengeschichten, um ein ethisches Leben zu führen. Atheistische und agnostische Inputs sind in der Lage, interreligiöse und moralische Konflikte auf einer nicht-religiösen Basis zu behandeln, jenseits des Absolutheitsanspruchs, während Religionen dazu tendieren.
Der Dalai Lama meint, für die Moral nicht religiöse Grundlagen zu suchen. Religiöse und Nichtreligiöse, Atheisten und Agnostiker sind vom Dalai Lama und seiner säkularen Ethik begeistert. Wir brauchen Bildung über moralische Prinzipien und Ethik, die nicht auf Religion gegründet ist, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, gemeinsamer Erfahrung und dem gemeinen Menschenverstand. Seit Jahrtausenden wird Gewalt im Namen von Religionen eingesetzt und gerechtfertigt. Religionen waren und sind oft intolerant. Deshalb sage ich, dass wir im 21. Jahrhundert eine neue Ethik jenseits aller Religionen brauchen.
Gudrun Baumann-Sturm
Raubling