Erstmals seit Oktober vergangenen Jahres wieder mehr als 12 000 Punkte – viele Anleger rieben sich am Donnerstag verwundert die Augen, als der Dax kurzzeitig die lange nicht mehr genommene Schwelle überschritt und zum Wochenschluss noch einmal so hoch stand. Schließlich sieht das Börsenumfeld weiter alles andere als rosig aus. Das Theater um den Brexit dauert an, deutsche Export-Unternehmen melden sinkende Aufträge, die Weltwirtschaft schwächelt, der Handelsstreit zwischen den USA und China ist nicht gelös. Nach wie vor drohen US-Zölle für europäische Pkw.
In Deutschland werden Ökonomen vorsichtiger. Noch rechneten Analysen mit einem Gewinnplus bei den 30 Dax-Firmen von neun Prozent in diesem Jahr. „Das ist viel zu hoch. Es gibt allenfalls eine schwarze Null“, sagt Commerzbank-Chef-Volkswirt Jörg Krämer.
Unterstützung für Aktien kommt nach wie vor und noch lange von den Zinsen. Bis Ende 2020 rechnet Krämer mit keiner Anhebung des Leitzinses von derzeit null Prozent. Längst gibt es Stimmen, die keine Veränderung bis 2024 erwarten. Auch die hohen Dividenden spreche für Aktien, sagt Michael Bissinger von der DZ Bank. Trotz der bislang starken Kursgewinne bleiben auch für Kai Franke, Chefanlage-Stratege des französisch-deutschen Bankhauses Oddo BHF, Aktien erste Wahl. Dass es wieder zu einem Einbruch wie im Dezember kommt, hält er für unwahrscheinlich.
Die Zuversicht bei den meisten Auguren hält sich aber in Grenzen. Das Umfeld ist einfach zu unsicher. Björn Hallex von der Berliner Weberbank plädiert für Abwarten. Die Börse befinde sich derzeit an einer Weggabelung. Mit 11 800 Zählern zum Jahresende erwartet Commerzbanker Krämer den Dax im Vergleich zu Ende 2018 deutlich im Plus, auch wenn das weniger ist als derzeit. Weiter auf dem Gaspedal sieht die Landesbank Hessen-Thüringen die Börse. 12 700 Zähler zur Jahresmitte und sogar 13 200 Ende 2019 lauten die Prognosen. Das gleicht fast der Aufforderung, jetzt Aktien zu kaufen. Nachdem der Dax seit Ende 2018 um fast 14 Prozent zugelegt hat, wäre das ein weiterer Zuwachs von zehn Prozent bis Jahresende. Und damit für 2019 ein Plus von 25 Prozent. Das darf man optimistisch nennen. ROLF OBERTREIS