Panikverkäufe am deutschen Aktienmarkt: Der Dax ist gestern gleich zum Handelsstart um mehr als 500 Punkte abgesackt und unter die Marke von 10 000 Punkten gerauscht. Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, die US-Grenzen für Ausländer aus Europa zu schließen. Stabilisierungsversuche der Europäischen Zentralbank (EZB) am Nachmittag verpufften weitgehend, am Abend ging der Dax mit 9245,23 Punkten aus dem Handel – ein Minus von 11,43 Prozent. Besonders hart traf es die Reisebranche und die Finanzwirtschaft: Aktien der Lufthansa verloren über 14 Prozent, Papiere der Deutschen Bank sackten über 18 Prozent ab. Die Aktie kostete keine fünf Euro mehr.
40 Prozent Minus
In nicht einmal einer Handelswoche hat der Dax bereits fast 20 Prozent eingebüßt. Seit Mitte Februar geht die Angst vor den wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen des neuartigen Coronavirus an den Finanzmärkten um. Der Dax hat in dieser Zeit inzwischen rund 40 Prozent an Wert verloren. Das keine vier Wochen zurückliegende Rekordhoch bei knapp unter 13 800 Punkten ist meilenweit entfernt.
Ursachen des Bebens
Verantwortlich für das Börsenbeben ist aber nicht nur der Corona-Ausbruch, wie Fondsmanager Jens Ehrhardt in einem Interview mit „Markus Koch Wall Street“ erläuterte. Der Aktienexperte hat drei Gründe für den Kurssturz der vergangenen Wochen ausgemacht.
. Gier: „Anfang 2020 gab es sehr viel Gier“, sagte Ehrhardt. Spezielle Stimmungsindikatoren, die die Euphorie und die Angst an den Märkten messen, hätten bereits zu Jahresbeginn „enorme Gier“ angezeigt.
. Corona-Ausbruch: Die Häufung von Corona-Fällen, insbesondere in Italien, hätten die Märkte zudem erheblich belastet, sagte Ehrhardt. China und andere asiatische Länder seien auf eine Epidemie sehr gut vorbereitet gewesen. „Bei uns hat man wohl gedacht, das kommt hier nie an“, sagt Ehrhardt. Deutschland dagegen sei überhaupt nicht vorbereitet gewesen. „Amerika ist ähnlich, dort hat man sich auch nicht vorbereitet“, kritisiert Ehrhardt die USA.
. Crash am Ölmarkt: „Die dritte Sache war, dass der Ölmarkt auf einmal um 30 Prozent einbrach, was auch nicht zu erwarten war“, erklärte Ehrhardt. Der Ölmarkt sei eigentlich ein Kartellmarkt, in dem die Produzenten versuchten, den Ölpreis künstlich hoch zu halten. „Jetzt hat eben Saudi-Arabien gesagt, wir machen da nicht weiter mit, die Amerikaner verkaufen in großem Stil und im Grunde auch die Russen.“ Nun werde der Markt mit Öl zugeschüttet, um US-Ölproduzenten aus dem Markt zu drängen.
Gründe für Zuversicht
Was bedeutet diese Gemengelage für Anleger? War’s das mit dem Börsenbeben? Oder rasseln die Kurse in den kommenden Tagen noch weiter in die Tiefe? „Das glaube ich nicht“, sagte Ehrhardt. Von Gier sei am Markt keine Rede mehr: „Die Markttechnik hat sich innerhalb von drei Wochen sehr gebessert, das ist die gute Nachricht.“ Ein weiterer Fall ins Bodenlose sei daher nicht zu erwarten.
Unsicherheit sieht Ehrhardt in der weiteren Entwicklung der Corona-Krise, er schränkt aber ein: „Glücklicherweise ist China ja praktisch durch, da gibt es kaum noch neue Fälle, der chinesische Aktienmarkt ist fast schon wieder an seinem Jahreshoch.“ Die Hoffnung sei nun, dass auch im Westen irgendwann der Höhepunkt an Corona-Infektionen erreicht sei und die Märkte dann wieder nach oben drehten.
Auch was den Ölmarkt angeht, gibt Ehrhardt Entwarnung: Mittelfristig könne sich das billige Öl positiv auf die Konjunktur auswirken. „Das ist in Amerika wie eine Steuersenkung von mehreren Milliarden Dollar.“ Auch die Politik der Notenbanken dürfe man nicht vergessen, auch wenn diese erst zeitverzögert wirke. Anhaltend sinkende Kurse sieht Ehrhardt daher nicht. Anlegern rät er: „Vielleicht noch ein bisschen warten, aber ich würde die Hoffnung nicht aufgeben, dass man wirklich sehr sehr günstig in nächster Zeit einige Titel einsacken kann.“
Gründe für Sorge
Allerdings teilen nicht alle Beobachter diesen Optimismus: Der Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums, Wolfgang Gerke, rechnet mit einer weiteren Verschärfung der Lage an den Finanzmärkten. „Die größten Probleme im Zusammenhang mit dem Virus kommen erst noch auf uns zu“, sagte er. „Diese Krise wird die Börsen über das gesamte Jahr belasten.“ Keiner wisse aber wirklich genau, wie weit die Kurse noch nach unten gingen. Sein Tipp an Anleger mit starken Nerven: „Wer sich trotzdem darauf einlässt, sollte nur überschaubare Beträge anlegen.“ Besser sei es ohnehin, permanent zu investieren. „Denn man wird nie den besten Einstiegs- und den besten Ausstiegs-Punkt finden.“