Piazzagefühle mit Coronaperto?

von Redaktion

INTERVIEW Wie es in Lokalen, Kantinen und Hotels künftig zugehen könnte

Statt ins Restaurant zu gehen, werden viele zu Hause mit Freunden kochen. Schlangen vor der Kantine sind passé – und eigentlich bräuchten Lokale eine Preiserhöhung. Der Gastronomieexperte Jörg Reuter erklärt, wie sich das Essen durch Corona verändert.

Wie teuer wird es, essen zu gehen?

Das Abstandsgebot gilt, die Restaurants, die jetzt wieder öffnen, werden vielleicht nur ein Drittel, jedenfalls nicht mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Sitzplätze haben können. Das Essen muss darum nicht gleich doppelt so teuer werden, der Wareneinsatz ist ja auch geringer. Aber 20 Prozent mehr bräuchten Gastwirte sicher, damit es sich für sie überhaupt noch rechnet. Sie könnten das als Coronaperto einfach draufschlagen.

Ein Coronaperto?

Viele kennen doch aus dem Italienurlaub den Coperto, also einen Betrag zwischen 1,50 und fünf Euro pro Person, der auf der Rechnung für Tischdecke, Besteck und so auftaucht. Der Coronaperto ist genauso, nur für den Extra-Aufwand, den Gastwirte jetzt haben. Trotzdem werden viele pleitegehen. Was machen zum Beispiel Landgasthöfe, in denen sonst große Hochzeiten gefeiert wurden?

Aber Gastwirte erproben doch alles Mögliche, mit Folien geschützte Separées, Plexiglas…

Sicher, wir gehen aber nicht essen, weil wir unseren Kalorienbedarf decken wollen. Wir wollen am Tisch zusammen sitzen, erzählen, uns austauschen. Nur abgetrennte Nischen und in der Luft hängt der Geruch von Hygienespray – das hat nichts mehr mit dem guten alten Restauranterlebnis zu tun. Da werden viele lieber zu Hause mit ein paar Freunden kochen.

Wird das bleiben – die eigene Küche als Zufluchtsort?

Ja, aber nicht immer wird selbst gekocht. Da ist in kurzer Zeit viel Neues entstanden. Viele Restaurants haben Lieferdienste eingerichtet. Einige schauen jetzt beim Essen zwar erst recht auf den Preis, weil sie Angst haben um ihren Job, die Zukunft unsicher ist. Aber andere gönnen sich daheim mehr, wenn man schon nicht rausgehen kann. Renommierte Restaurants wecken für sie zum Beispiel Königsberger Klopse, Rinderroulade, Tafelspitz in Einmachgläsern ein. Gehobene Küche „to go“ ist gerade extrem gefragt.

Das deftig Fleischige kommt zurück?

Das sind Gerichte mit Wohlfühlcharakter. Man kann sie aufwärmen, man weiß, was man hat. Für die nächste Zeit ist das wichtig. Die Leute wollen nicht groß beim Essen herumexperimentieren, alles andere ist schon Experiment genug derzeit.

Wird eines Tages wieder Currywurst mit Pommes in der Betriebskantine angeboten?

Die Kantine wie früher wird es nicht mehr geben. In der Schlange stehen, warten. Neu gedacht könnte das ähnlich werden wie in Data-Kitchen in Berlin, das ist ein Restaurantprojekt eines bekannten Gastronomen und der Firma SAP. Dort bestellt man sein Mittagessen vom Büro aus online für eine bestimmte Zeit vor. Dann holt man es pünktlich ab. Dafür macht man ähnlich wie in einer Paketstation ein Fach per Smartphone-App auf und holt das Essen raus. Das ist lange Zeit belächelt worden.

Jetzt lacht niemand mehr.

Nein, weil es plötzlich nicht mehr Spielerei ist. Auf Kantinen übertragen bedeutet das, das Personal arbeitet hinter den Fächern. Das Gedränge lässt sich vermeiden, man lässt nur so viel Leute ihr Essen holen, wie Platz da ist. Oder Unternehmen richten in jeder Abteilung einen großen Essraum ein. Dann könnte die Kantine das Essen bringen, und die Leute, die ohnehin schon zusammen arbeiten, würden auch gemeinsam essen.

Wie sieht das Essen im Hotel aus?

Das Frühstücksbuffet ist tot. Den riesigen Korb mit Croissants, in den alle reinfassen, wird es nicht mehr geben. Manche werden Brot, Marmelade, Aufschnitt nur noch abgepackt anbieten. Ich vermute aber, dass es häufiger ein A-la-carte-Frühstück geben wird. Das könnte dann – wie heute schon vielfach Sekt oder Breze für die Pause im Theater – vorbestellt werden, per App beim Check-in oder einige Minuten vor dem Frühstück. Dann wird es aufs Zimmer gebracht. Es wird alles privater, zumindest solange wir keinen Impfstoff haben.

Keine Alternative?

Lokalpolitiker müssten die Gehwege freigeben, auch Straßen für den Autoverkehr sperren. Dann könnten die Gastronomen ihre Tische dort ausreichend voneinander entfernt aufstellen. Man könnte Abstand halten, und es hätte Flair.

Italienisches Piazzagefühl?

Das wäre zumindest bis zum Herbst etwas, das Lebensfreude zurückbringen würde.

Interview: Hanna Gersmann

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