Selbst die Aktie, die demnächst den Deutschen Aktienindex Dax verlassen muss, legte am letzten Handelstag der ersten Juni-Woche zeitweise um fast acht Prozent zu. Das Papier der Lufthansa war gefragt wie selten in letzter Zeit. Der Index generell kennt seit Tagen nur eine Richtung: Nach oben. Börsianer und Volkswirte reiben sich verwundert die Augen. Was ist los auf dem Parkett und in den Handelscomputern? War nicht was mit Corona, diesem Virus?
Deutschland, Europa, die Welt steckt in der schwersten Rezession seit 80 Jahren – und die Börsianer tanzen.
Zeitweise auf mehr als 12 800 Zähler kletterte der Dax zum Wochenschluss. Es ist der höchste Stand seit Ende Februar. Seit dem Tief Mitte März hat das Börsenbarometer satte 55 Prozent zugelegt. Zum Rekord von Mitte Februar fehlen nur noch rund sieben Prozent. Und im Vergleich zu Ende 2019 liegt der Dax nur noch rund 3,5 Prozent im Minus.
Nun gibt es durchaus Gründe dafür, dass es an der Börse wieder aufwärtsgeht. Die Bundesregierung hat ein üppiges Konjunkturpaket im Volumen von 130 Milliarden Euro geschnürt, die EU will 750 Milliarden locker machen, die Europäische Zentralbank (EZB) pumpt weitere 600 Milliarden Euro in die Wirtschaft und die Finanzbranche. Damit belaufen sich ihre Krisenmaßnahmen bis Mitte 2021 auf die unvorstellbare Summe von 1,8 Billionen Euro – also 1.800.000.000.000 Euro.
Dazu kamen am Freitag aus den USA überraschende Zahlen zum Arbeitsmarkt. Und schließlich werden immer mehr Grenzen geöffnet, Reisen wird wieder möglich.
Experten warnen. Das sei eine Rally im Zeitraffer, sagt Markus Reinwand von der Landesbank Hessen-Thüringen. Für ihn steigen die Kurse viel zu schnell. „Die Luft nach oben ist nun sehr dünn geworden.“ Kurzfristig könne es zu Korrekturen von bis zu zehn Prozent kommen. Faktisch blendet die Börse derzeit weiter bestehende Risiken aus: Der Handelskonflikt zwischen China und den USA ist weiter von einer Lösung entfernt denn je, der Streit über den Brexit-Vertrag zwischen Brüssel und London wird schärfer. Christian Kahler von der DZ Bank verweist auf die Unruhen in den USA und auf den Konflikt um Hongkong. Die Welt befinde sich in einem Zustand nahezu beispielloser Turbulenzen. Die Börse(n) nicht.
„Eine starke und schnelle Konjunkturerholung ist keine ausgemachte Sache“, sagt auch Sören Wiedau von der Weberbank. Aktuell regiere an den Kapitalmärkten das Motto „Die Flut hebt alle Boote“, verweist er auf die Billionen-schweren Hilfen. Kahler glaubt, dass der Aufschwung an der Börse auch damit zu tun hat, dass viele Angst haben, etwas zu verpassen. Und deshalb auf den Börsenzug aufspringen und so die Kurse weiter treiben. ROLF OBERTREIS