Ulrich Kater dürfte nicht der einzige sein, der sich diese Frage stellt: „Kriegt Corona die Börsen noch mal klein?“ Der Chef-Volkswirt der DekaBank sieht zwar Sorgen auch bei den Börsianern wegen der dramatisch steigenden Infektionszahlen in den USA. Aber die Ignoranz des US-Präsidenten und seine zunehmende Unberechenbarkeit treiben die Börsianer bislang nicht wirklich um. Aber zunehmende Beschränkungen in den USA werden wohl unvermeidbar. „Diese werden in den kommenden Monaten auch die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigen“, sagt Kater.
Noch ist davon am Aktienmarkt nichts zu sehen. „Sehr großzügig“ scheinen die Börsen derzeit zu sein, heißt es bei Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS. In den USA hat die Technologiebörse Nasdaq sogar jüngst neue Rekorde verbucht. So weit ist der Deutsche Aktienindex Dax nicht. Aber seit Ende Juni hat das wichtigste deutsche Börsenbarometer um rund 350 Punkte oder drei Prozent auf mehr als 12.600 Zähler zugelegt. Zeitweise waren es in den ersten Julitagen sogar 12 700. Dabei hat die Europäische Kommission ihre Konjunkturprognose gerade nach unten korrigiert. Ein neuerlicher Shutdown in den USA würde den Export über den Atlantik weiter bremsen. Und auch die Geschäfte deutscher Autobauer dürften in den USA erheblich gedrückt werden. Die anstehenden Berichte für das zweite Quartal werden zeigen, wie hart Corona die Unternehmen getroffen hat. Schließlich decken sie die extrem schwierigen Monate April und Mai ab. „Wir werden eine der schwächsten Quartalsberichtssaisons in der Geschichte sehen“, ist Björn Hallex von der Weberbank überzeugt. Dass der Software-Konzern SAP überraschend gut abgeschnitten hat, dürfte die Ausnahme sein. Wo es langgeht, zeigt dagegen der Gewinneinbruch um fast 80 Prozent beim Chemiekonzern BASF. Ein Krisenindikator ist auch der Goldpreis. Das Edelmetall gilt als „sicherer Hafen“. Erstmals seit neun Jahren kostet die Feinunze wieder mehr als 1800 Dollar.
Nach Überzeugung vieler Börsianer halten vor allem die Zentralbanken mit ihren Billionenschweren Geldspritzen und auch die Regierungen mit ihren beispiellosen Hilfspaketen auch den Aktienmarkt am Laufen. „Viel hilft viel“, sagt Christian Kahler von der DZ Bank. Dies bewirkt auch, dass die Zinsen weiter im Keller bleiben und damit Sparanlagen und Anleihen unattraktiv sind. Die Experten der DZ Bank rechnen erst Ende 2024 wieder mit einem leichten Anstieg des Leitzinses in der Eurozone. Derzeit können sich die Banken sogar zu Negativzinsen Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) besorgen. Sie zahlen also nichts für das Geld, sondern bekommen bis zu 1,5 Prozent Zinsen obendrauf. Das soll die Kreditvergabe befördern.
Das alles spricht für solide Aktien. Deshalb rechnet kein Experte und keine Expertin mit einem Einbruch der Kurse. „Wir erwarten für die kommenden Wochen einen Seitwärtstrend, bei dem sich der Dax größtenteils zwischen 11 500 und 12 800 bewegen sollte“, sagt Andreas Hürkamp von der Commerzbank. DZ-Banker Kahler ist noch zuversichtlicher. Bis Mitte nächsten Jahres werde der Dax auf 13 500 Zähler, sagt er. Freilich wird auch diese Prognose davon abhängen, wann es wirksame Medikamente gegen Covit-19 geben wird. ROLF OBERTREIS