Zum Ende einer ohnehin schwachen Börsenwoche hat der deutsche Aktienmarkt auch am Freitag nochmals kräftig Federn gelassen. Die Zahlen der Infektionen mit dem Coronavirus sind zuletzt europaweit stark gestiegen und haben an der Börse ihren Tribut gefordert. Doch es gab Lichtblicke: Zwei Börsengänge in einer Woche – auch wenn beide nicht ganz optimal verliefen.
Vorstandschef Thomas Müller jedenfalls strahlte am Freitag, als er beim Börsengang seines Unternehmens an der Frankfurter Börse – wie üblich – nach dem ersten Kurs die schwere Börsenglocke schwingen durfte. Aber tatsächlich hatten sich er und die bisherigen Eigentümer des Rüstungs-Elektronik-Herstellers Hensoldt aus Taufkirchen (Lkr. München) mehr versprochen. Die Aktien konnten nur zu zwölf Euro und damit am unteren Ende der gewünschten Spanne von zwölf bis 16 Euro verkauft werden. Der erste Kurs lag auch nicht höher und rutschte im Handelsverlauf zeitweise auf nur noch 10,68 Euro ab, bevor er wieder auf um die elf Euro kletterte.
Die Laune ließen sich Müller und der US-Investor KKR trotzdem nicht verderben. Immerhin 460 Millionen Euro spielt der nach dem Reisemobil-Hersteller Knaus Tabbert zweite Börsengang dieser Woche ein. 300 Millionen Euro gehen an das Unternehmen, 160 Millionen Euro an KKR. Gut 38 Millionen Aktien wurden abgegeben. 37 Prozent der Aktien sind jetzt breit gestreut, der Rest liegt weiter bei KKR. In Börsenkreisen hieß es, das Interesse an Hensoldt sei besonders bei nordamerikanischen Investoren außergewöhnlich groß gewesen. Dagegen wird bei Fonds und auch bei Privatanlegern eine geringere Nachfrage vermutet, weil sie bei Rüstungsunternehmen deutlich sensibler sind als in der Vergangenheit. Hensoldt-Chef Müller spricht denn auch lieber von „Verteidigungselektronik“. Die Bundesregierung besitzt bis Ende dieses Jahres ein Vorkaufsrecht für 25,1 Prozent der Anteile. Technologien von Hensoldt gelten für die Bundeswehr als bedeutsam.
Mit dem Erlös will Hensoldt Müller zufolge die Expansion vorantreiben. Aktuell sei das Unternehmen mit seinen 5400 Beschäftigten in 19 Ländern vertreten. In den drei Jahren nach der Übernahme der ehemaligen Radar–sparte von Airbus durch KKR habe Hensoldt bereits fünf Übernahmen gestemmt, eine weitere werde gerade abgeschlossen. „Wir spielen in der Champions League der Verteidigungsindustrie“, sagt Müller. Einen besseren Partner als KKR könne er sich nicht vorstellen. KKR hatte Hensoldt im Februar 2017 für 1,1 Milliarden Euro übernommen. Aktuell wird das Unternehmen an der Börse mit knapp 1,3 Milliarden Euro bewertet. Im vergangenen Jahr verbuchte Hensoldt einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro, der Gewinn lag bei 8,2 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2020 setzte das Unternehmen gut 440 Millionen Euro um, allerdings bei einem Verlust von 88 Millionen Euro. Etwa zwei Drittel des Umsatzes erzielt Hensoldt in der EU und mit der NATO sowie in Australien, Japan, Neuseeland und der Schweiz.
Zwar besteht das Unternehmen in seiner heutigen Form erst seit gut dreieinhalb Jahren, die Geschichte von Hensoldt reicht aber gut 150 Jahre zurück auf Moritz Carl Hensoldt, der im 19. Jahrhundert damals wegweisende optische Präzisionsgeräte wie Ferngläser und Teleskope entwickelte. Zu den Vorgängerunternehmen von Hensoldt gehörten unter anderem Airbus, Carl Zeiss, Dornier, Messerschmidt und Telefunken. ROLF OBERTREIS