Die Rekorde, die in den letzten Wochen am Aktienmarkt verzeichnet wurden, lassen sich kaum noch zählen. Auch am 1. April meldete der Deutsche Aktienindex Dax einen neuen Höchststand. 15 110 Zähler standen auf der großen Anzeigetafel im Frankfurter Handelssaal. So viel hatten selbst größte Optimisten erst für das Jahresende erwartet. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nennt die Aktienbewertungen mittlerweile „sehr hoch“. Was Börsianer und Anleger aber ebenso wenig abschreckt wie die rapide steigende Zahl von Neuinfektionen, wieder striktere Lockdown-Schritte in Deutschland und in Europa und das immer noch verhaltende Impftempo. Die Börse, so der Eindruck, hat Corona schon abgehakt.
Auch die Turbulenzen um die Finanzfirma und offensichtliche Zockerbude Archegos berührt den Aktien- wie den Finanzmarkt generell kaum. Dabei soll die Deutsche Bank in letzter Minute ein Engagement von 3,4 Milliarden Euro gerettet und damit einen Milliardenverlust verhindert haben. Schließlich stören auch die Diskussionen über eine möglicherweise stärkere anziehende Inflation und steigende Schulden der Staaten offensichtlich nicht.
„Die Zutaten für weiter stabile Aktienmärkte sind vorhanden“, sagt Robert Halver von der Baader Bank. Er führt gleich eine Latte von Gründen an: Impffortschritte, dynamisches Wachstum in den USA und Asien, Konjunkturprogramme im Volumen von gigantischen vier Billionen Dollar in den USA. Zunehmender Optimismus bei deutschen Exporteuren. Das Ende des Lockdowns sei nur verschoben, nicht aufgehoben, sagt Halver. Eine Zinswende sei nicht in Sicht, die realen Zinsen nach Anzug der Inflation blieben bei null oder sogar negativ. Zudem nimmt die Dividendensaison Fahrt auf. Die großen Konzerne haben den Anfang gemacht. Daimler beteiligt seine Aktionäre mit einer höheren Ausschüttung als 2020, die Telekom hält sie stabil. Insgesamt dürften die 30 Dax-Firmen für das Pandemie-Jahr mit der größten Krise seit mehr als 70 Jahren rund 34 Milliarden Euro an ihre Eigentümer zahlen.
Das alles war an der Börse so nicht absehbar. Zur Erinnerung: Am 16. März 2020 stand der Dax zeitweise bei nur noch 8255 Punkten. Seitdem ging es um mehr als 80 Prozent nach oben. Das Plus seit Jahresbeginn beläuft sich auf rund zehn Prozent, allein im März auf 9,5 Prozent. „Das Momentum bleibt kräftig“, sagt Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der DekaBank. „Dies dürften nicht die letzten Rekorde gewesen sein.“ Christian Kahler von der DZ Bank ist vorsichtiger. Er hatte die Marke von 15 000 erst für das Jahresende erwartet. Zwar sieht er weiter gute Vorzeichen für den Aktienmarkt. Die Erwartungen für das Gewinnwachstum der Unternehmen seien sehr optimistisch, Risiken etwa mit Blick auf steigende Einkaufspreise, gestörte Lieferketten oder eine dritte Welle der Pandemie seien „zweifellos“ vorhanden. Joachim Goldberg vom gleichnamigen Analysehaus gibt sich dagegen gelassen. Rücksetzer in Richtung 14 600 Zähler seien möglich. Dann aber würden Anleger verpasste Käufe nachholen – was die Kurse wieder antreibt. ROLF OBERTREIS