Den Schock haben Börsianerinnen und Börsianer erst einmal verdaut. Im April ist die Inflationsrate in Deutschland auf 2,0 Prozent gestiegen, in den USA verteuerten sich die Preise sogar um mehr als vier Prozent. Das schürt die Angst vor höheren Zinsen. Was nicht gut ist für Aktien. Also ging der Deutsche Aktienindex Dax deutlich auf Talfahrt – am Donnerstag bis auf 14 816 Punkte. Das waren 600 Zähler oder fast vier Prozent weniger als zu Wochenbeginn. Doch Christi Himmelfahrt brachte die Wende. Es ging wieder nach oben, am Freitag sogar in Richtung 15 400 Punkte.
Offensichtlich blickt man an der Börse auf die längerfristige Inflationsentwicklung. Ökonomen und die Europäische Zentralbank (EZB) sagen zwar für das laufende Jahr Raten von zeitweise mehr als drei Prozent voraus. Aber schon 2022 und 2023 dürfte sich das Geschehen wieder beruhigen. Die EZB erwartet für die Eurozone dann Inflationsraten von deutlich unter zwei Prozent. Die Zinsen bleiben deshalb niedrig.
Also rücken an der Börse andere Faktoren in den Vordergrund. Etwa die im Schnitt überraschend gute Lage der 30 Dax-Konzerne. Im ersten Quartal haben sie ihre Gewinne vor Steuern und Zinsen auf fast 42 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdoppelt. Der Umsatz stieg auf einen Höchstwert von 362 Milliarden Euro. Die Aussichten erscheinen gut. Die Auftragsbücher sind voll. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in den Industriestaaten sinkt, die Zahl der Geimpften steigt, Lockerungen rücken näher.
Allerdings bleiben Risiken: Etwa Lieferengpässe bei Speicherchips, steigende Rohstoffpreise, der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern und die noch nicht überwundene Pandemie.
„Noch bleiben die Aktienmärkte recht gelassen,“ sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, mit Blick auf Inflations- und Zinssorgen. „Die Berichtssaison ist sehr gut ausgefallen, die Aussichten auf gute Unternehmensgewinne im weiteren Jahresverlauf stützen die Börsen“.
DZ Bank-Stratege Christian Kahler dagegen warnt vor Überbewertungen. Von einer Blasenbildung am Aktienmarkt, wie im März 2000, sei man aber weit entfernt. „Aber die Hauptgefahr für die Märkte könnte darin bestehen, dass die Kurse stärker steigen, als selbst die größten Optimisten erwarten“. Den Dax sieht er bis Jahresende mit 15 000 Punkten auf Seitwärtskurs. ROLF OBERTREIS