Pflichtteilsberechtigten soll eine Mindestteilhabe am Vermögen des Erben zustehen. Dies soll nicht dadurch umgangen werden können, dass der Erblasser vor seinem Tod sein Vermögen wegschenkt und im Erbfall kein Nachlass mehr da ist, an dem eine Pflichtteilsberechtigung bestehen könnte. Daher sieht das Gesetz vor, dass der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen kann, um den sich der Nachlass erhöhen würde, wenn der verschenkte Gegenstand noch zum Nachlass gehören würde. Für diesen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch gibt es eine Abschmelzungsregel, die Sie in Ihrer Frage ansprechen. Danach verringert sich der Wert, mit dem die Schenkung angerechnet wird, jedes Jahr um ein Zehntel. Nach zehn Jahren ist dann also die Schenkung aus der Pflichtteilsergänzung „raus“.
Aber: Diese Abschmelzung läuft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann nicht, wenn der Schenker und spätere Erblasser sich bei der Schenkung einer Immobilie ein Nießbrauchsrecht vorbehalten hat. Denn dann hat er zwar seine Eigentümerstellung aufgegeben, nicht aber die wesentlichen Nutzungsmöglichkeiten am verschenkten Gegenstand. Ihre Schwester könnte also grundsätzlich den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen, wenn dieser nicht verjährt ist. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Pflichtteils(ergänzungs)anspruch entstanden ist und der Berechtigte Kenntnis von seinem Anspruch erlangt hat. War dies bei Ihrer Schwester 2018 der Fall, kann sie den Anspruch noch bis Ende 2021 geltend machen.