„Vorsicht vor chinesischen Aktien“

von Redaktion

INTERVIEW Börsen-Experte Jens Ehrhardt über Chancen und Risiken im Herbst

Nach einem Einbruch Mitte Juli ist der Dax wieder auf Erholungskurs: Gestern legte er 0,45 Prozent auf 15 640,47 Punkte zu, damit ist das Rekordniveau von 15 810 Punkten allmählich wieder in Reichweite – gleichzeitig droht die vierte Corona-Welle. Im Interview spricht Jens Ehrhardt, Chef der DJE Kapital AG, über den Herbst und die richtige Börsen-Strategie.

Mitte Juli ist der Dax um 700 Punkte gefallen und kam wenige Tage später wieder zurück – was hat die Anleger verschreckt?

Ich denke, dass das eine lange überfällige Marktreaktion war. Viele Anleger haben seit Längerem wieder Gewinne realisieren wollen. An der Börse läuft es allgemein eher zyklisch ab. Im Herbst gehen die Kurse meist ein wenig runter, kommen aber im 4. Quartal wieder hoch.

Die Kurse haben sich seit einem tiefen Tal im Herbst 2020 kräftig entwickelt. Experten warnen aber jetzt schon vor einer neuen Corona-Welle durch die Delta-Variante. Blüht uns ein weiterer Einbruch?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Inzidenz im Herbst wieder hochgeht und im Winter ihren Zenit erreicht. Allerdings haben wir diesmal den Vorteil einer relativ hohen Impfquote. Das heißt, dass zwar viele Menschen erkranken werden, aber vermutlich nicht mehr so viele einen schweren Verlauf durchmachen. Deshalb denke ich, die Angst vor der Delta-Variante wird zu hoch gehängt, wir werden wahrscheinlich trotz steigender Inzidenzen keinen großen Einbruch bei der Wirtschaft haben.

Drohen dafür schlechte Nachrichten aus Fernost?

Die chinesische Börse ist noch stärker als in den USA in wenigen großen Aktien konzentriert. Und gerade diese Aktien fallen jetzt sehr stark und reißen die Indizes mit runter.

Was plant China?

Ich halte das mehr für eine geopolitische Aktion, als für ein nationales Saubermachen. Gerade im Bereich der privaten Nachhilfe – einem 100 Milliarden Dollar schweren Sektor – gibt es viele angloamerikanische Investoren, die man in Peking vielleicht nicht mehr haben wollte. Ich denke auch, dass das keine einmalige Sache ist, weil immer der Konflikt mit den USA im Hintergrund steht. Deshalb wäre ich mit chinesischen Aktien immer vorsichtig.

Wie kann sich die Situation auf den Dax niederschlagen?

Das ist ein geostrategischer Konflikt und wir sind mit 50 Prozent Exportanteil in der Wertschöpfung angreifbar. Es ist durchaus möglich, dass die USA in ein paar Jahren sagen: Wir wollen nicht, dass ihr weiter mit China handelt. Mit Russland und dem Iran ist das ja schon so passiert. Genauso ist es möglich, dass die Chinesen langfristig sagen: Danke für die tollen Fabriken, die ihr bei uns gebaut habt, die können wir auch ohne euch betreiben.

Kurzfristig kämpfen Unternehmen mit einem Materialmangel bei nahezu allen wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten. Was bedeutet das?

Gerade bei den Halbleitern hapert es an der Produktion, aber bei vielen anderen Produkten liegt es am Transport, in den chinesischen Häfen staut sich viel, aber auch die Blockade im Suezkanal hat sich niedergeschlagen. Wir sehen jetzt, welche Risiken die „just in time“-Strategie bei Vorräten birgt. In Zukunft wird sich das ändern, die Unternehmen werden mehr Kapital in Lagerbeständen binden müssen. Aktuell gibt es aber sicher einige Gewinneinbußen bei Unternehmen, die Kostenerhöhungen nicht gleich weitergeben können.

Was heißt das für die deutsche Konjunktur?

Da wäre ich nicht so pessimistisch, wir haben zurzeit einen monetären und fiskalpolitischen Schub in einem nie dagewesenen Ausmaß. Solange billiges Geld da ist, wird es der Konjunktur gut gehen. Man hat seit der Finanzkrise dazugelernt, die Notenbanken werden lieber weiter Geld drucken, als einen weiteren Kollaps in Kauf zu nehmen. Damit können Bankenpleiten mit hundertprozentiger Sicherheit verhindert werden.

Von welchen Branchen erwarten Sie im weiteren Jahresverlauf die größte Dynamik – in beide Richtungen?

Durch die pandemiebedingt veränderten Einkaufsbedingungen wird der Online-Handel weiter profitieren und der stationäre Einzelhandel vermutlich leiden. Die Frage ist auch, ob die Menschen wieder so viel reisen werden wie vor der Pandemie, aber davon gehe ich aus. Aktuell leidet vor allem der europäische Süden an den Reisebeschränkungen. Aber auch hier tut sich einiges, Italien entwickelt sich zur zweitgrößten europäischen Exportnation nach Deutschland, unter anderem durch Milliarden aus Brüssel. Auch bei der Staatsverschuldung hat sich viel getan. Da stehen Frankreich und die USA schlechter da.

In unsicheren Zeiten greifen die Menschen gerne zu Alternativen. Was bedeutet das für Edelmetalle und Staatsanleihen?

Die Staatsanleihen halten sich erstaunlich gut, obwohl sie kaum Zinsen beziehungsweise Negativzinsen bringen. Tatsächlich werden die Staatsanleihen aber hauptsächlich von der EZB und Versicherungen gekauft. Letztere, weil sie gewisse Quoten erfüllen müssen. Gold steht aber auch nicht viel besser da: Letztes Jahr, als die Schockwellen durch die Anlegerwelt liefen, haben viele – besonders die Amerikaner – Gold über ETFs gekauft. Am Ende war mehr Gold in diesen Fonds als Deutschland Währungsreserven hat. Jetzt gerade steigt mit der Konjunktur die Euphorie und die Leute verkaufen Gold, um wieder mit Aktien Renditen verdienen zu können. Aber auch über die Minen und Altgold kommt mehr auf den Markt. Gleichzeitig greifen die traditionellen Käufer, also China und Indien, nur sehr zaghaft zu. Dadurch haben wir ein Überangebot.

Was raten Sie Privatanlegern?

Es ist zwar ein Blick in die Glaskugel, aber ich denke grundsätzlich sind solide Aktien – wie beispielsweise Energieversorger – der beste Weg. Wichtig ist, die Finger von zu spekulativen und hochgejubelten Papieren zu lassen. Da gibt es ja gerade in Amerika alle naselang Fantasiebuden, die an die Börse gehen. Immobilien sind fast zu teuer, um rentabel zu sein. Die klassischen Mischfonds, also eine Mischung aus Festgeld, Anleihen und Aktien lohnt sich auch nicht mehr, weil das Festgeld nichts mehr bringt. Zu defensiven Titeln wie Versorgern kann man europäische Gesundheitsunternehmen und Versicherer mischen. Gerade Rückversicherer können sogar nach Katastrophen – wie den aktuellen Unwettern – in Zukunft höhere Gewinne erwirtschaften, weil sie die Prämien anheben und es bei den Erstversicherern mehr Vertragsabschlüsse gibt. Zuletzt kann es nicht schaden, langfristig auch bis zu zehn Prozent Gold im Portfolio zu haben.

Interviw: Matthias Schneider

Artikel 3 von 4