Franz P.: „Wir haben unserem Sohn durch Überlassungsvertrag ein kleines landwirtschaftliches Anwesen mit Grund und Wald übertragen. Daneben haben wir ein Einfamilienhaus errichtet. Das wurde auch übergeben mit Wohnrecht auf Lebenszeit. Nun habe ich gelesen, dass bei Wohnrechtsvorbehalt die Zehnjahresfrist nicht anläuft. Unsere Tochter ist mit einer Abfindung (Pflichtteil) nicht einverstanden und soll enterbt werden. Kann die Tochter nur vom Haus (mit Wohnrecht) den Pflichtteil fordern? Oder würde auch für das landwirtschaftliche Anwesen die Zehnjahresfrist nicht anfangen? Sollten wir das Wohnrecht löschen lassen? Was raten Sie uns, da unsere Tochter ihr Erbe einklagen wird?“
Der Pflichtteil Ihrer Tochter (vorausgesetzt, sie wird enterbt) errechnet sich zum einen aus dem am Todestag vorhandenen Gesamtnachlass, zum anderen – über die sogenannte Pflichtteilsergänzung – aus den Schenkungen des Erblassers. Der Wert des Schenkungsgegenstandes ist dem Nachlass voll zuzurechnen, wenn die Schenkung weniger als ein Jahr zurückliegt. Pro Jahr, das seit der Schenkung verstrichen ist, schmilzt dieser Betrag um zehn Prozent ab. Nach drei Jahren werden also noch 70 Prozent des Schenkungswerts, nach acht Jahren nur noch 20 Prozent zugerechnet. Sind zehn Jahre verstrichen, ist die Schenkung „verbraucht“. Von dieser Abschmelzungsregel gibt es eine wichtige Ausnahme: Verbleibt dem Schenker der Nießbrauch am Schenkungsgegenstand, so gilt er weiter als dessen „wirtschaftlicher Eigentümer“ und die Zehnjahres-Abschmelzungs-Frist beginnt nicht zu laufen.
Bei Ihnen liegt die Sachlage anders: Sie haben sich ein Wohnrecht und keinen Nießbrauch vorbehalten. Und zudem erstreckt sich das Wohnrecht nicht auf das gesamte übergebene Vermögen, sondern nur auf ein Haus. Nach der derzeit maßgeblichen Rechtsprechung kommt dem Wohnrecht nicht die gleiche „Herrscherposition“ zu wie dem Nießbrauch, ergo hat die Zehnjahres-Frist bereits mit Übergabe zu laufen begonnen. Wenn somit zwischen der Schenkung an den Sohn und Ihrem Ableben zehn Jahre vergangen sein werden, kann die Tochter hieraus keine Pflichtteilsergänzung fordern.
Bitte beachten Sie, dass diese Rechtsprechung durchaus umstritten ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Wohnrecht im Einzelfall doch einem Nießbrauch gleichgestellt wird (dann würde aber nur der Wert des Hauses für die Pflichtteilsergänzung zählen und nicht das sonst übergebene Vermögen). Daher ist der von Ihnen angedachte Verzicht auf das Wohnrecht durchaus naheliegend.
Aber Achtung! Dies könnte steuerschädlich sein, denn der Verzicht auf das Wohnrecht beinhaltet wiederum eine eigene Schenkung, deren Wert mit dem Steuerwert der früheren Zuwendung (falls noch keine zehn Jahre verstrichen sind) zusammengerechnet wird. Bei Überschreitung des Freibetrags könnte der Verzicht auf das Wohnrecht den Anfall der Schenkungsteuer zur Folge haben.
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