Wochenlang herrschte an der Börse Sorglosigkeit. Ein Rekord nach dem anderen, der Dax ließ die Schwelle von 16 000 Punkten locker hinter sich. Damit ist es erst einmal vorbei. Corona, 2G und längst nicht mehr ausgeschlossene neuerliche Lockdowns haben die Börse eingeholt. Am Freitag folgte ein mehr als massiver Einbruch. Auslöser: B.1.1.529, die in Südafrika aufgetauchte Variante des Corona-Virus.
Eine Zwischenzeitliche Erhollung war von kurzer Dauer. Am Ende wurden es 15 250,49 Punkte und ein Minus von 4,19 Prozent. „Es heißt: Helme auf und Köpfe einziehen“, empfahl Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets. Gemäß dem Black Friday gab es auch am Aktienmarkt Sonderangebote, bei Kursen, die zum Teil zweistellig nach unten zeigten. Anleger griffen aber trotzdem nur verhalten zu. Zu den wenigen Gewinnern zählten am Freitag Papiere, die von Corona und einem möglichen neuen Lockdown profitieren: Impfstoffhersteller und Laborausrüster wie BionTech, Sartorius und Merck sowie Online-Dienstleister wie Hello Fresh, Delivery Hero, Zalando oder auch Teamviewer. Schließlich dürften Web- und Video-Konferenzen wieder stärker gefragt sein.
Commerzbank-Chef-Volkswirt Jörg Krämer zeigte sich nicht sonderlich überrascht. Es müsse immer mit Virus-Varianten gerechnet werden. Für die nächsten Monate erwartet er an der Börse erst einmal weitere Bremsspuren, schließlich werde das Winterhalbjahr konjunkturell schwierig. Krämer befürchtet einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung, wegen Einbußen vor allem in der Gastronomie und generell im Dienstleistungssektor. Und wegen der „beispiellosen“ Materialengpässe bei vielen Unternehmen, die deshalb nur bedingt produzieren können. Aber dann: Wenn die Neuinfektion im Frühjahr nachließen werde es steil nach oben gehen, glaubt Krämer. Schließlich seien die Auftragsbücher der Unternehmen so voll wie seit 60 Jahren nicht mehr. Auch der Dax zeige dann wieder nach oben. Zumal die 40 Unternehmen für 2021 rund 47 Milliarden Euro an Dividenden ausschütten würden. Das seien 39 Prozent mehr als für 2020 und ein neuer Rekord. Den erwartet Krämer Ende nächsten Jahres auch im Dax: 17 200 Punkte. „Wir werden ein weiteres gutes Aktienjahr sehen“.
Die Pandemie ist zurück an der Börse, sagt Oliver Roth, Chef-Händler beim Bankhaus Oddo Seydler. „Corona ist nicht nur ein Risiko für Leib und Leben, sondern auch ein wirtschaftliches Thema.“ Corona könne das Anlegervertrauen zeitweise auf die Probe stellen, betont Sven Streibel von der DZ Bank. Aber er glaubt nur an ein Zwischentief. Die Bank sieht den Dax Mitte 2022 bei 17 500 und Ende nächsten Jahres sogar bei 18 000 Zählern. „Wir sind weit davon entfernt, in eine Blase wie die letzte im Jahr 2000 zu laufen,“ ist Streibel überzeugt.
ROLF OBERTREIS