Die Zinswende kommt, sagt Sven Streibel, Aktienstratege der DZ Bank. Die aktuellen Aktienkurse signalisieren seiner Auffassung nach bereits höhere Zinsen und Konjunkturrisiken. Weil das so ist, rechnet er eher mit positiven Überraschungen, was wiederum die Kurse stützen würde.
Aber soweit ist es noch nicht. Glaubt man anderen Experten, dominieren an der Börse weiter die Zinsängste. Obwohl doch alle auf dem Parkett wissen, dass es mit der allzu lockeren Geldpolitik nicht nur in den USA, sondern auch in Europa demnächst vorbei ist – auch wenn sich Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter bedeckt hält. Veränderungen bei den Zinsen würden ohnehin erst nach neun bis 18 Monaten wirken, sagt sie.
Umfragen unter privaten und professionellen Investoren zeigen nach Angaben der Landesbank Hessen-Thüringen, dass sie sich schwerpunktmäßig zu den AktienBären zählen, also im Gegensatz zu den Bullen pessimistisch sind. „Historisch waren solche Konstellationen häufig eine günstige Einstiegsgelegenheit“, sagt Stratege Markus Reinwand. Um gleich einzuschränken, dass es da vorher mit Kursen meist kräftig nach unten gegangen sei. Bisher seien die Abschläge aber nur moderat.
Im aktuell unruhigen Fahrwasser sei es nicht einfach zu navigieren, räumt Hannah Thielcke von der Weberbank ein. Trotzdem sieht sie weiter Chancen, schließlich zeigten die Gewinnschätzungen der Unternehmen stetig nach oben und die Firmen könnten der Inflation trotzen. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. Sie sichern im Schnitt Arbeit für 4,5 Monate – so lange wie nie zuvor. Im Maschinenbau sind es sogar elf Monate. Wenn sich die Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten auflösen, sollten auch die Börsen-Ampeln also auf Grün springen. Im Deutschen Aktienindex Dax geht es aber erst einmal weiter rauf und runter, wobei sich der Index in der abgelaufenen Woche gleichwohl nach oben orientierte. Die Volatilität ist weiter enorm. „Wir sind noch nicht durch“, warnt Robert Halver von der Baader Bank. Zuversichtlich bleibt er trotzdem. Er sieht den Dax zum Jahresende bei 16 900 Punkten.
Wobei die abgelaufene Woche ein Ereignis bot, das es im Dax so noch nie gab. Zeitweise brach die Aktie des Essenslieferanten Delivery Hero um 30 Prozent ein. Die Aussichten sind trüber als erwartet. Und das Unternehmen schreibt immer noch rote Zahlen. Nach den seit Spätsommer 2021 geltenden Regeln für den Dax hätte die Berliner Firma nicht aufgenommen werden dürfen. Mindestens zwei Jahre lang müssen Dax-Kandidaten schwarze Zahlen schreiben. Delivery Hero schafft das immer noch nicht, rutschte aber wegen der hohen Bewertung als Nachfolger für Wirecard in den Dax. ROLF OBERTREIS