Die EZB dürfte vorerst weiter stillhalten

von Redaktion

Die USA stehe vor einer Kaskade von Leitzeinserhöhungen, im Euroraum drohe eine Energiekrise und China scheine in einen Endlos-Lockdown zu gehen, umschreibt Commerzbank-Chef-Volkswirt Jörg Krämer das auch für den Aktienmarkt derzeit alles andere als vorteilhafte Gemisch. Und auch an der Börse bleibt das Entsetzen über die von Putins Armee angerichteten Zerstörungen und das unfassbare menschliche Leid. Ein Ende scheint nicht abzusehen.

Gleichwohl geht der Handel weiter – in einem ständigen Auf und Ab. Zum Wochenschluss kamen Entspannungssignale vom Ölpreis. Das Fass der US-Sorte Brent kostete am Freitag „nur noch“ gut 96 Dollar, das der Nordsee-Sorte Brent wenig mehr als 100 Dollar. Beides ist weit entfernt von Höchstständen von fast 130 Dollar Anfang März.

Aber generell bliebt die Lage am Aktienmarkt schwierig. Daran ändert auch nichts, dass rund 600 deutsche Aktiengesellschaften mit 70 Milliarden Euro in diesem Jahr so viel an Dividenden ausschütten wie noch nie – 23 Milliarden und damit fast 50 Prozent mehr als 2021. Aber das ist Vergangenheit. Für die Börse und die Händler zählt die Zukunft. Und die sehen sie angesichts des schwierigen, dramatischen Umfeldes skeptisch. Trotzdem erwarten die deutschen Banken jüngsten Umfragen zufolge im Schnitt bis Jahresmitte eine leichte Erholung der Kurse auf dann rund 14 500 Zähler, Ende September sollen es rund 250 mehr sein und am Jahresende dann gut 15 300 Punkte. Die Schätzungen liegen aber deutlich unter denen, die noch zu Jahresanfang abgegeben wurden. Damals wurden für Ende 2022 mehr als 17 000 Punkte vorhergesagt.

Neue Erkenntnisse dürfte am Donnerstag auch die nächste Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht bringen. An der dürfte Präsidentin Christine Lagarde nur virtuell teilnehmen: Sie ist an Corona erkrankt. Zinsentscheidungen werden nicht erwartet  – trotz der hohen Inflation von zuletzt mehr als sieben Prozent. Daran hindert die Notenbank wohl auch die Gefahr einer Rezession. Die wäre bei einem kompletten Stopp der Kohle-, Öl- und Gaslieferungen aus Russland wohl kaum zu vermeiden.

Anders sehe es auch für die Börse bei einem Ende des Krieges aus, sagt Sven Streibel von der DZ Bank. Das ist aber derzeit nicht in Sicht. Zudem werden die Probleme in den Lieferketten wegen der Corona-Pandemie und des Lockdowns in China eher größer als kleiner. Freilich bleiben Sparanlagen und Anleihen angesichts der weiter niedrigen Zinsen und der hohen Inflation wenig attraktiv. Auch wenn die Rendite der wichtigen zehnjährigen Bundesanleihe mittlerweile wieder knapp 0,7 Prozent erreicht hat. Bei einer Inflationsrate von möglicherweise bald acht Prozent ergibt das real freilich eine Einbuße von fast sieben Prozent.

Aktienstratege Bastian Ernst von der Weberbank sieht bei Aktien angesichts der weiter hohen Unsicherheiten zwar weiter Kurs-schwankungen. Anleger sollten aber im Aktienmarkt investiert bleiben. Kursveränderungen erfolgten in beide Richtungen, nach unten und nach oben.

Tatsächlich haben sich Aktien seit Ausbruch des Krieges bislang durchaus erstaunlich gut gehalten. Wenn man verkaufe, besteht nach Ansicht von Ernst deshalb die „Gefahr, besonders ertragreiche Tage zu verpassen, was langfristig zu erheblichen Ertragseinbußen führen kann.“ ROLF OBERTREIS

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