Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Auswirkungen die dramatischen Folgen des Putin-Kriegs auf die Bilanzen haben. Denn nach und nach kommen die Berichte der Unternehmen für das erste Quartal auf den Tisch. Und die sind zur Hälfte von den Auswirkungen des rücksichtlosen und todbringenden Überfalls der Russen auf die Ukraine beeinflusst. Dramatisch gestiegene Energie- und Nahrungsmittelpreise, zunehmende Lieferengpässe, möglicherweise Produktionseinschränkungen, die galoppierende Inflation und steigende Zinsen werden sich in den Zahlen zeigen. Und die extrem hohe Unsicherheit. Wie lange dauert der Krieg noch, wie lange das unerträgliche menschliche Leid, das auch an der Börse niemanden kalt lässt?
Der Sachverständigenrat hat gerade die Wachstumsprognose für Deutschland drastisch auf nur noch 2,7 Prozent heruntergeschraubt. Angesichts der hohen Inflation erhöht die US-Notenbank Fed die Zinsen viel schneller als erwartet. Die Europäische Zentralbank (EZB) freilich schlägt noch kein schnelleres Tempo ein. Frühestens im Herbst will sie die Zinszügel leicht anziehen, wie sie am Donnerstag durchblicken ließ.
Börsianer und Anleger bleiben skeptisch und vorsichtig. „Der Risiko-Appetit ist deutlich gebremst“, sagt Christian Apelt von der Landesbank Hessen-Thüringen. Der Deutsche Aktienindex Dax pendelt um die Marke von 14 000. Er hat seit Anfang April rund 500 Punkte verloren, steht aber andererseits deutlich über dem Tief nach dem Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar. Anfang März war er zeitweise unter die Schwelle von 12 500 Zählern abgerutscht.
Die Experten des Bankhauses Metzler sprechen zwar von verstärkten Konjunktursorgen und deuten auf die eher zunehmenden Probleme von Inflation, von Energie- und Rohstoffpreisen und gestressten Lieferketten. Sie sehen aber auch Chancen am Aktienmarkt.
Die Notwendigkeit der Transformation der Wirtschaft und Infrastruktur werde durch Putins Krieg keineswegs in Frage gestellt, sagt Analyst Hendrik König. Es zeige sich im Gegenteil die Bedeutung einer „deutlich schnelleren Umsetzung.“ Etliche an der Börse gelistete Unternehmen sollten unter anderem von der Digitalisierung, der Energiewende und dem Thema Energiesicherheit profitieren.
„Am Aktienmarkt herrscht naturgemäß Nervosität“, umschreibt Alexander Lukas von der Weberbank die aktuelle Gefühlslage. „In Krisenzeiten ist es als Aktionär wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich keinesfalls von Emotionen leiten zu lassen“, fügt er hinzu. Also nicht hektisch agieren. Und auf defensive Titel, also etwa Versorger, Basiskonsumgüter und Pharma oder auch IT-Unternehmen achten.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt auch die Corona-Lage in China und derzeit vor allem der Lockdown in der Wirtschafts- und Finanzmetropole Shanghai. All das führt dazu, dass Ökonomen mittlerweile das Wort „Rezession“ fast so häufig in den Mund nehmen wie „Inflation“. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, sieht aber vor allem wegen letzterem den Trend, dass Notenbanken weltweit an der Normalisierung der Geldpolitik arbeiten. „Die Zinswende ist auf dem Weg. Das ist maßgebliche Erkenntnis für die Finanzmärkte.“ Das bedeute für den Aktienmarkt: Weiter seitwärts mit Schwankungen. So wie auch in den vergangenen Wochen. ROLF OBERTREIS