München – Es sind juristische Siege, die einfach verpuffen. „Wir haben gegen Norbert Weber vor dem Landgericht München ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro erstritten, aber jetzt sitzt die Person in Dubai und da muss man das erst mal durchsetzen“, bricht der Frust aus Namensvetter Michael Weber heraus. Beim Ärzteportal Jameda kämpft er als Leiter des Qualitätsmanagements gegen gefälschte Bewertungen, was für professionelle Fake-Agenturen immer mehr zum so illegalen wie lukrativen Geschäft wird. Michael Weber ist mit Firmen wie Goldstar Marketing einer der Drahtzieher, verurteilt, aber nicht haftbar zu machen. Das ist kein Einzelfall.
Auch Georg Ziegler als Leiter Betrugsverfolgung beim Reiseportal Holiday Check kann ein Lied davon singen. Im Oktober 2018 konnte Holiday Check ein Fake-Netzwerk identifizieren, das auf dem eigenen Portal massenweise falsche Bewertungen platziert hatte. Weil in einem solchen Fall weder Staatsanwaltschaft noch Polizei aktiv werden, hat die Plattform selbst monatelang ermittelt und unter erschwerten Bedingungen der Fake-Agentur Fivestar Marketing eine Klage zugestellt. Erschwert war das, weil Briefkastenfirmen wie sie nicht so leicht erreichbar sind.
Fivestar residierte damals in Belize. Im November 2019 erging am Landgericht München ein an sich wegweisendes Urteil, das die Fake-Agentur in allen Punkten schuldig gesprochen hat. Wie zum Hohn warb die am Tag danach mit Rabatt auf gefälschte Bewertungen bei Holiday Check. „Die Agentur hat einfach ihren Namen und den Handelsregistereintrag geändert sowie einen neuen Geschäftsführer ausgewiesen, sie macht bis heute munter weiter“, erklärt Ziegler. Fivestar firmiert heute in Bulgarien.
Nur dem Onlineriesen Amazon ist es nach eigenem Bekunden gelungen, bislang zwei Fake-Agenturen ihr Handwerk endgültig zu legen. „Wir haben drei bis vier Jahre dazu gebraucht und Bußgelder in sechsstelliger Höhe erwirkt“, stellt Amazon-Sprecher Tobias Goerke klar. Aber eine Rechtsabteilung und einen so langen Atem wie Amazon haben andere Internetportale nicht. Im Kampf gegen Fake-Bewertungen sind sie per Zivilrecht auf sich allein gestellt. „Falsche Bewertungen sind unlauter, werden aber nicht strafrechtlich bewertet“, weiß die Chefjustiziarin der Verbraucherzentrale Bayern, Tatjana Halm. Um strafrechtlich geahndet zu werden, fehle ein nachweisbarer Vermögensschaden, sagt sie zur juristischen Argumentation. Dabei sind die Dimensionen des Betrugs gewaltig.
Amazon hat schon 2020 weltweit 200 Millionen anrüchige Bewertungen aus seinem System gefischt, bevor Kunden sie zu Gesicht bekommen haben. Bei jährlich gut 1,5 Milliarden Produktbewertungen auf Amazon entspricht das rechnerisch gut 13 Prozent.
Ähnliche Erkenntnisse hat Holiday Check. Dort werden 17 Prozent aller Bewertungen als verdächtig oder klar gefälscht eingestuft. „Es ist eine Lose-lose-lose-Situation bei der Verbraucher, Plattformen und Händler verlieren“, findet Dara Kossok-Spieß als Leiterin der Netzpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE). Sie hat vor allem auch ehrliche Onlinehändler im Blick. Deren Produkte und Dienstleistungen würden immer öfter von einer Masse von Fake-Bewertungen ans Ende von Suchergebnissen gedrängt und in der Wahrnehmung überflügelt.
Vor allem Mittelständler hätten das Nachsehen. Es dürfte noch schlimmer kommen, wenn Sebastian Hallensleben nicht irrt. „Ich sehe eine große Gefahr in automatischen Fake-Bewertungen“, warnt der Digitalexperte des heimischen Elektrotechnikverbands HDE. Damit meint er Algorithmen, die mittels künstlicher Intelligenz täuschend echt die Sprache realer Menschen imitieren oder gleich deren Identität übernehmen und massenweise falsche Bewertungen per Internet absondern. „So wird die Illusion erzeugt, dass ein Produkt tausendfach gemocht wird“, erklärt der Experte die drohende Vervielfachung des Problems.
Ziegler sieht nur einen Ausweg. „Der Gesetzgeber muss handeln und Fake-Bewertungen ins Strafrecht verlagern“, fordert der Betrugsbekämpfer von Holiday Check. Er rechnet vor, dass Betrüger mit ihren Methoden Milliardengeschäfte machen und hofft auf echte Abschreckungswirkung, wenn Staatsanwälte und Polizei zu ermitteln beginnen.
Juristen sind aber vielfach nicht davon überzeugt, dass sich wirklich ein Vermögensschaden nachweisen lässt, der für strafrechtliche Verfolgung unerlässlich wäre. „Man findet keine griffige Lösung“, räumt Halm ein. Ähnlich sieht es Kossok-Spieß vom HDE. Sie hofft auf eine Neuerung im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, die Ende Mai als sogenannte Omnibus-Richtlinie in Kraft treten wird. „Ab dann haben wir eine klare Rechtslage“, sagt Armin Jungbluth als Ministerialrat des Bundesdigitalministeriums.
Die Richtlinie sei eine gesetzliche Klarstellung dafür, dass Fake-Agenturen unlauter arbeiten und Irreführung betreiben. Ziegler überzeugt das nicht. Gerichte hätten jetzt schon für Klarheit gesorgt. Woran es mangele, sei Durchsetzbarkeit und damit abschreckende Wirkung. „Die Richtlinie müsste schon heute nachgebessert werden“, findet der Betrugsbekämpfer.