An der Börse waren die vergangenen Monate eine wilde Achterbahnfahrt: Es ging immer wieder mal kräftig aufwärts, meist aber schnell abwärts – und das dürfte auch noch länger so bleiben. Allein nach der Sitzung der Europäischen Zentralbank sackte der deutsche Aktienindex Dax um 1,7 Prozent ab, am Freitag fiel er um weitere 3 Prozent unter 13 800 Punkte. Warum ist es an den Märkten gerade so turbulent? Und wie sollte man sich verhalten?
Wie ist die Lage an den Börsen im Moment?
Die Stimmung an den Finanzmärkten ist ziemlich mies. Die weltgrößte Anlagegesellschaft Blackrock spricht offen vom „derzeitigen Irrsinn in der Welt“, wegen dem man die Aktienpositionen in den Industrieländern reduziert habe. Viele andere Investoren sehen das auch so. Kein Wunder, die Börsen sind seit Monaten unter Druck. Der Dax ist seit Jahresanfang um rund zehn Prozent eingeknickt, der globale Aktienindex MSCI World sogar um fast 15 Prozent. Kleines Trostpflaster für deutsche Anleger: Sie haben mit globalen Aktien etwa acht Prozent und damit nur rund die Hälfte verloren, weil der Euro zum Dollar stark abgewertet hat.
Warum stürzen die Kurse so stark ab?
Es gibt gerade viele Belastungsfaktoren für die Börsen: den Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und den Materialmangel zum Beispiel. Im Moment jagt eine Hiobsbotschaft die nächste. Die Bundesbank senkte am Freitag ihre Wachstumsprognose für 2022 in Deutschland von 4,2 auf 1,9 Prozent, ihre Inflationsprognose hob sie auf 7,1 Prozent an. Die Wirtschaftsforscher vom ifo-Institut meldeten, dass auf Baustellen noch nie so viel Material fehlte wie im Moment. Und US-Finanzministerin Janet Yellen gab zu, dass der größten Volkswirtschaft der Welt eine deutliche Abschwächung der Wirtschaft droht.
Welche Rolle spielen die Notenbanken?
Über diesen Unsicherheiten schwebt zusätzlich die Zinswende. Über Jahre haben die Notenbanken Unmengen an Geld gedruckt und so die Wirtschaft und die Finanzmärkte gestützt. Nun ändern sie ihren Kurs und bekämpfen mit einer restriktiven Geldpolitik die hohe Inflation. Die US-Notenbank hebt die Zinsen seit März konsequent an, die EZB verkündete am Mittwoch, keine neuen Anleihen mehr zu kaufen und ab Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen zu erhöhen. Mitte 2023 könnte der Leitzins in Europa laut Schätzungen bei 1,5 Prozent stehen, in den USA sogar bei 3,5 Prozent. Das hat Folgen. „In den USA endeten seit 1955 drei von vier Zinserhöhungszyklen mit einer Rezession“, erklärt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Außerdem sehen wir eine echte Zeitenwende an den Kapitalmärkten.“ Nach etwa 40 Jahren, in denen Anleihen konstant immer weniger Rendite brachten, steigen die Renditen von deutschen oder US-Staatsanleihen nun, was sie plötzlich wieder zu einer halbwegs lukrativen Alternative zu Aktien macht.
Welche Aktien erwischt es besonders hart?
Hart trifft es gerade Aktien von Technologiekonzernen, die noch keine großen Gewinne machen. Denn erst in der Zukunft erwirtschaftete Gewinne sind mit steigenden Zinsen vereinfacht gesagt weniger wert. Die Aktie von Netflix hat seit dem Winter über zwei Drittel an Wert verloren, der Technologieindex Nasdaq ist seit Jahresbeginn über 20 Prozent im Minus. Aber es gibt viele weitere Verlierer. In Deutschland sind etwa die Aktien von Immobilienkonzernen wie Vonovia oder Deutsche Wohnen seit Herbst um rund die Hälfte abgestürzt, da steigende Zinsen auch den Immobilienmarkt belasten dürften. Und auch Konsumaktien wie Inditex, H&M oder Zalando sind ziemlich unter Wasser.
Gibt es auch Gewinner an der Börse?
Zumindest ein paar. Die größten Gewinner sind Öl- und Gaskonzerne, die vom Ölembargo gegen Russland profitieren. Das schiebt auch die Leitindizes von Rohstoffnationen wie Brasilien oder Saudi-Arabien an. Weil durch den Krieg in der Ukraine eine Weizenknappheit droht, sind auch Titel aus dem Agrarbereich gefragt. Die Aktien von Waffenherstellern wie Rheinmetall haben sich seit Ausbruch des Krieges zudem teilweise mehr als verdoppelt. Ob man mit solchen Spekulationen wirklich Geld verdienen will, muss jeder selbst entscheiden. Zumal auch nicht klar ist, wie lange die Kursanstiege weitergehen.
Wie lange werden die Turbulenzen dauern?
Die Experten sind sich einig: Es bleibt turbulent! Der weltgrößte Hedgefonds Bridgewater wettet bereits auf Wirtschaftskrisen und Pleitewellen in den USA und Europa. Ungefährlich ist das Stagflation genannte derzeitige toxische Gemisch aus schwacher Wirtschaft und hoher Inflation nicht. Eine ähnliche Situation gab es zuletzt in den 1970ern, sie ist das Horrorszenario der Anleger. Die Notenbanken mussten die Zinsen damals auf fast 20 Prozent erhöhen, die US-Aktienkurse stürzten ab und erreichten erst nach zehn Jahren das alte Niveau. Zum Vergleich: Nach der Internetblase und der Finanzkrise dauerte die Erholung je etwa sechs Jahre. Aber so schlimm muss es nicht kommen.
Sollte man seine Aktien jetzt sofort verkaufen?
Nur wer schon viele Jahre investiert ist, hohe Gewinne hat und das Kapital bald braucht, sollte überlegen, einen Teil der Gewinne zu realisieren. Allen anderen raten Anlageexperten, investiert zu bleiben. Dafür braucht man aber viel Zeit und starke Nerven. „Die Aktienrenditen werden in den nächsten Jahren bescheidener“, befürchtet Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Langfristig bleiben Aktien seiner Meinung nach aber attraktiv. „Früher oder später wird sich die Lage entspannen und die Aktienkurse werden anziehen.“ Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das bisher immer der Fall war: 15 Jahre nach dem Crash von 1973 hatten Investoren ihr Geld mit US-Aktien wieder mehr als verdoppelt, heute würde ihr Plus trotz Ölkrise, Internetblase, Finanzkrise und Corona-Crash bei über 3400 Prozent liegen.
Wie schützt man sich gegen Crashs?
Der beste Schutz vor großen Verlusten ist Diversifikation. Also: Nicht alles in eine oder wenige Aktien stecken, sondern über Fonds oder ETFs den Löwenanteil des Kapitals weltweit streuen. Außerdem sollte man nicht nur auf Aktien setzen, sondern andere Anlageklassen wie Anleihen, Rohstoffe und Gold beimischen. Bewährt sind Aufteilungen wie zwei Drittel Aktien und ein Drittel Rest. Allerdings hängt das stark von der eigenen Risikoneigung und dem Anlagehorizont ab. Deshalb: Im Zweifel lieber eine individuelle Anlageberatung wahrnehmen, die es für relativ wenig Geld zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale Bayern gibt.