Die letzten Tage des ersten Halbjahres passten zum Rest: Mit Aktien ging es bergab. „Allenfalls 2002 und 2008 können mithalten“, meint Ulrich Katers, Chef-Volkswirt der DekaBank. Damals war der Deutsche Aktienindex Dax jeweils um mehr als 40 Prozent eingebrochen. „Wir erleben eines der schlechtesten Aktienjahre überhaupt. Es ist ein echtes Krisenjahr.“ Abgesehen vom Januar war der Druck auf die Börse in den ersten sechs Monaten ständig hoch. Um rund 20 Prozent ist der Dax seit Ende 2021 abgerutscht auf weniger als 12 700 Zähler.
Dabei hatte es zum Jahresanfang noch gut ausgesehen. Das Jahr 2021 schloss der Dax mit einem Plus von fast 16 Prozent auf 15 884 Punkte. Am 5. Januar erreichte der Index mit den 40 Aktien der wichtigsten und größten hierzulande an der Börse gelisteten Unternehmen im Tagesverlauf mit 16 285 Punkten einen neuen historischen Höchststand. Danach aber zeigte das Börsenbarometer praktisch nur noch nach unten. Der 24. Februar und der russische Angriff auf die Ukraine brachte die dramatische Wende auch für die Finanzmärkte. Der Dax verlor an diesem Tag fast 1000 Punkte und rutschte auf 13 800 Zähler ab.
Rasant steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise und damit auch eine rasant steigende Inflation, die Zinswende der Zentralbanken nachdem sie jahrelang das Geld bei Null-Zinsen extrem verbilligt hatten, wirtschaftliche Einbußen auch durch die Sanktionen gegen Russland, eingetrübte Konjunkturaussichten, sinkende Unternehmensgewinne – die Kette der negativen Nachrichten riss und reißt nicht ab. Selten war die Unsicherheit so hoch. Und das ist Gift für die Finanz- und Aktienmärkte.
Was bringt das zweite Halbjahr an der Börse? Klar ist: Ein gutes Börsenjahr wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr werden, auch wegen der weiter schwierigen Corona-Lage in China verbunden mit Lockdowns und Produktionsstopps. Nach 2018 dürfte es erstmals wieder ein Jahr werden mit einem deutlichen Minus-Zeichen im Dax werden. Daran zweifelt praktisch kein Volkswirt und Börsenstratege. 2018 war das Börsenbarometer um gut 18 Prozent abgerutscht. 2011 waren es minus 15 Prozent. Schlimm aus sah es 2002 mit einem Absturz um 44 und 2011 mit einer Einbuße um 44 Prozent.
So drastisch dürfte es vermutlich nicht kommen. Aber die Unsicherheit ist riesig. Kommt es zu einem Konjunktureinbruch, wenn es einen kompletten Stopp von Gasimporten gibt? „Der Vermögenserhalt steht in diesen Zeiten im Vordergrund“, sagt Joachim Schallmayer, Aktienstratege der DekaBank. Dabei sei die Diversifizierung eines Portfolios, also die Streuung über mehrere Aktien, über mehrere Fonds und über Anleihen, so wichtig wie selten zuvor. ROLF OBERTREIS