An den Rentenmärkten kämpfen derzeit zwei Sichtweisen um die Deutungshoheit. Die einen, die nach den gesunkenen US-Preisdaten den Höhepunkt der Inflation auch im Euroraum erreicht sehen, und das andere Lager, das diese Einstellung nicht teilt. Dementsprechend handeln die Rentenmärkte ungewohnt volatil. So ging die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen in einer Woche um über 0,50 Prozentpunkte im Tief zurück. Zehnjährige Bundesanleihen tauchten zwischenzeitlich – von 2,38 Prozent kommend – auf unter zwei Prozent ab. Sinkende Inflationsraten schüren die Hoffnung auf eine langsamere Gangart im Zinserhöhungszyklus der Zentralbanken und für einen geringeren Renditeanstieg.
Aus der EZB waren diese Woche Stimmen zu hören, die vor zu starken Maßnahmen und einer Rezession warnten. EZB-Ratspräsidentin Christine Lagarde bekräftigte allerdings am Freitag den Zinserhöhungspfad und das mittelfristige Inflationsziel von derzeit utopischen zwei Prozent. Es dürfte sich an der Pendelbewegung der Renditen, befeuert von Inflationssorgen und Rezessionsängsten, zunächst wenig ändern.
Die Wirtschaftsindikatoren der letzten Woche zeigten ein eher trübes Bild der Zukunft: Der rezessive Kälteeinbruch naht. Dies galt für China, wo sich die Indikatoren klar abschwächten, aber auch in den USA mit Blick auf den Immobilien- und Baubereich oder den Philly-Fed-Index. In Europa trüben sich die Wirtschaftsindikatoren ebenfalls weiter ein. Das dürften die für die kommende Woche anstehenden Einkaufsmanagerindizes im Euroraum bestätigen. Sie haben mit dem ebenfalls anstehenden Ifo-Geschäftsklima und dem französischen Pendant von INSEE eines gemeinsam: Sie befinden sich bereits auf Niveaus, denen in der Vergangenheit die Rezession auf dem Fuße folgte.
Von einem Wirtschaftsabschwung ist momentan bei den meisten DAX-Konzernen noch wenig zu merken. Die 40 Dax-Konzerne verbuchten im abgelaufenen Quartal zusammen rund 30 Mrd. Euro, so viel wie noch nie in einem dritten Quartal – ein Plus von 12 Prozent. Die gute Bilanz der US-Unternehmen in der Berichterstattung für das dritte Quartal mit einem Gewinnwachstum von drei Prozent zum Vorjahr erklärt die gute Stimmung schon zum Teil. Doch ohne den Energiesektor lagen die Gewinne bereits fünf Prozent unter dem Vorjahresniveau – für uns ein weiteres Indiz, dass sich die USA in Richtung Rezession mit fallenden Unternehmensgewinnen bewegt. Auch in Europa erscheinen die Aktienmärkte nach der zuletzt starken Rallye aus technischer Sicht überkauft. Wir gehen davon aus, dass sich der Fokus der Kapitalmärkte in den kommenden Wochen und Monaten von Inflationssorgen in Richtung Rezessionsängste verschieben wird und die Stimmung sich auch an den Aktienmärkten wieder abkühlt. So erscheint die derzeitige Stimmung besser als die tatsächliche Lage.