Das junge Jahrzehnt ist jetzt fast drei Jahre alt, der deutsche Aktienindex Dax startete 2020 bei rund 13 500 Punkten und steht jetzt kurz vor Ende des Jahres 2022 bei rund 14 000 Punkten. Sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Man bedenke, dass vor Beginn dieses Jahrzehnts Crash-Propheten Hochkonjunktur hatten. Bücher mit vermeintlich detaillierten Beweisen für einen bevorstehenden Zusammenbruch der deutschen Banken (unter anderem Markus Krall), der Weltwirtschaft (etwa Max Otte oder Marc Friedrich), des Euro (zum Beispiel Dirk Müller oder Hans-Werner Sinn) wurden zu Bestsellern und verbreiteten eine Weltuntergangsstimmung unter den Lesern. Und doch kam alles ganz anders. Die Jahre 2020 bis 2023 wurden tatsächlich von dramatischen Verwerfungen heimgesucht – nur hatte keiner der Propheten die Corona-Pandemie mit einen monatelangen Stillstand der Weltwirtschaft oder den Ukraine-Krieg mit seinen Verwerfungen für Europas Energieversorgung auf dem Zettel. Umso erstaunlicher, dass wir trotz dieser Schockereignisse unter dem Strich an den Märkten jetzt wieder in einer ziemlich normalen Welt angekommen sind.
Die Anleihenmärkte gehen mit Zinsniveaus ins neue Jahr, wie man sie langfristig kennt. Ausfallsichere deutsche Staatsanleihen rentieren mit zwei Prozent Umlaufrendite, ein ausgewogener Korb Unternehmensanleihen mittlerer Laufzeit rentiert mit vier Prozent.
Auch an den Aktienmärkten haben wir wieder faire Bewertungen, wobei Risiko angemessen bepreist wird. Das Kurs/Gewinn-Verhältnis der Aktien aus Industriestaaten im globalen Aktienindex MSCI World liegt bei 16, das der Schwellenländer im MSCI Emerging Markets bei 11,5 – das liegt im langfristigen Durchschnitt und spiegelt Risikoprämien ein, wie sie in rationalen Märkten zu erwarten sind.
Die Inflationskennzahlen sind auf Jahresbasis gerechnet zwar noch sehr hoch, aber die Tendenz ist gerade in den USA stark fallend, sodass dort ein Inflationsniveau von unter vier Prozent wieder absehbar ist. Dieses Thema wird im Jahr 2023 an den Märkten keine große Rolle mehr spielen. Aus dem Ruder gelaufen sind noch die Immobilienbewertungen, aber auch hier sieht es nach einer gesunden Abkühlung der Märkte ohne großen Knall aus.
Auch wenn die Verluste aus diesem Jahr den Anlegern noch in den Knochen stecken, so haben sie allen Grund, positiv in das neue Jahr zu blicken. Natürlich scheint nicht überall die Sonne, insbesondere in Deutschland ernten wir die nicht ganz so wohlschmeckenden Früchte unserer Wirtschaftspolitik der letzten 20 Jahre. Und damit beziehe ich mich nicht nur auf die Energiepolitik, sondern auch auf den Zustand unserer Infrastruktur, die Verteidigung, die Bildung und so weiter. Es gibt leider einige Problembereiche.
Im deutschen Leitindex Dax spiegelt sich dieses Bild dadurch wider, dass die Unternehmensbewertungen auf dem Niveau eines Schwellenlandes liegen. Aber ich will jetzt nicht an Weihnachten die gute Laune verderben. Zum Glück ist die Zukunft ergebnisoffen und gerade in Demokratien sind politische Entwicklungen keine Einbahnstraße.
Wo der Dax im Jahr 2024 stehen wird, weiß daher auch niemand so genau. Wirklich gelernt habe ich von den Crash-Propheten allerdings vor allem eines: Auch wenn Prognosen eine unsichere Sache sind, kann eine Überschrift gar nicht reißerisch genug sein.