Was ist das Haus, was ist die Wohnung wert? Diese Frage stellt sich bei Erbschaften, aber auch, wenn es um eine Schenkung geht. Doch wer ermittelt den Wert von Immobilien? Wie wirkt sich die Vermietung aus? Oder eine Erbengemeinschaft? Wie wird der Wert eines Hauses durch Nießbrauch gemindert? Darüber sprachen wir mit dem Erbrechtsexperten Anton Steiner, Fachanwalt aus München, und Präsident des deutschen Forums für Erbrecht.
In welchen Fällen braucht man eine Bewertung für eine Immobilie?
Die Bewertung ist zum Beispiel bei einer erbrechtlichen Auseinandersetzung, wenn also ein Erbe den anderen auszahlen muss, notwendig. Gleiches gilt, wenn ein Pflichtteil berechnet werden muss. Oder wenn es um die Erbschaft- oder Schenkungsteuer geht. Auch dann muss man eine Immobilie in Geld umrechnen.
Wer nimmt die Bewertung vor?
Wenn es um die Steuer geht, das Finanzamt. Das Amt verschickt die Aufforderung, eine Feststellungserklärung abzugeben, in der bestimmte Daten der Immobilie abgefragt werden – Größe, Alter, Baustandard zum Beispiel. Aufgrund dieser Daten setzt das Finanzamt in einem Feststellungsbescheid den Wert des Hauses oder der Wohnung fest, der für die Besteuerung maßgeblich ist. Das ist also ein zweistufiges Verfahren. Das muss man wissen, denn es hilft nichts, gegen den Erbschaftsteuerbescheid Einspruch einzulegen, wenn man die Bewertung der Immobilie für zu hoch hält. Dafür ist es dann zu spät, man hätte gegen den Feststellungsbescheid vorgehen müssen.
In diesem Zusammenhang hört man viele Begriffe. Was ist zum Beispiel unter Verkehrswert, Verkaufswert und Vergleichswert zu verstehen?
Da gibt es tatsächlich viel Durcheinander. Das Bewertungsziel im Gesetz ist, den wahren Wert einer Immobilie der Besteuerung zu unterwerfen. Das heißt, es gilt festzustellen, was bekäme man für die Immobilie, wenn man sie am Tag der Erbschaft verkaufen würde. Dieser mögliche Verkaufserlös ist der Verkehrswert. Ganz genau kann man diesen Wert natürlich nie bestimmen, solange das Objekt nicht tatsächlich verkauft wird. Deshalb behilft man sich mit drei vereinfachten Verfahren: Das Vergleichsverfahren, bei dem der Wert ähnlicher Objekte herangezogen wird. Das macht man, wenn es genug Vergleichsobjekte gibt, zum Beispiel bei Eigentumswohnungen in München. Zweitens das Ertragswertverfahren bei Immobilien, die Geld abwerfen, etwa wenn sie vermietet sind. Und schließlich das Sachwertverfahren, das sich zusammensetzt aus dem Bodenwert und dem Gebäudewert.
Was kann man tun, wenn man mit der Bewertung nicht einverstanden ist?
Das Gesetz sieht vor, dass dann der Steuerpflichtige auf eigene Kosten einen geringeren Wert nachweisen kann. Dafür muss er das Gutachten eines vereidigten Sachverständigen vorlegen. Das Finanzamt ist aber nicht verpflichtet, ein solches Gutachten anzuerkennen. Dann bleibt nur der Weg zum Finanzgericht.
Was kostet so ein Gutachten?
Das kommt auf die Immobilie an. Aber bei einem Einfamilienhaus im Münchner Raum ist man schnell mit 3000 oder 4000 Euro dabei.
Was kann den Wert einer Immobilie drücken? Ein Nießbrauch? Oder eine Vermietung?
Ja, da werden unter Umständen Abschläge anerkannt. Eine vermietete Eigentumswohnung ist oft nicht ganz so gut zu verkaufen wie eine nicht vermietete. Unlängst hatten wir auch den Fall, dass zu einer Erbschaft der halbe Anteil eines Grundstücks gehörte. Auch da konnte der Erbe per Sachverständigengutachten nachweisen, dass ihm niemand den halben Anteil für 50 Prozent des geschätzten Wertes der gesamten Immobilien abkaufen würde. Denn jeder Käufer wüsste, dass er wegen des Miteigentümers eingeschränkt wäre, etwa wenn er abreißen und neu bauen wollte – und der andere dagegen ist. Das hat auch das Finanzgericht so gesehen und 20 Prozent Abschlag festgelegt.
Wie läuft die Wertfeststellung, wenn es um die Auszahlung eines Pflichtteils geht?
Angenommen, mein Vater hat mich enterbt und die Stiefmutter als Alleinerbin eingesetzt: Dann muss man im Erbfall zur Stiefmutter gehen und kann als Pflichtteilsberechtigter ein Gutachten über den Wert des Erbes, konkret, der Immobilie, verlangen. Dieser Anspruch steht so im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dann muss die Witwe auf eigene Kosten ein Sachverständigen-Gutachten einholen und mir vorlegen.
Kommen wir zur Schenkung. Da behalten sich Schenker gern einen Nießbrauch an der Immobilie vor, um sich abzusichern. Auch das mindert doch den Wert, oder nicht?
Stimmt, das ist seit dem Jahr 2009 der Fall. Wenn ich meinem Sohn eine Immobilie für eine Million Euro schenke, mir aber einen Nießbrauch vorbehalte, dann wird der Kapitalwert dieses Nießbrauchs ermittelt und vom Wert der Immobilie abgezogen. Sagen wir das sind 200 000 Euro, dann habe ich nicht eine Million, sondern nur 800 000 Euro verschenkt. Das ist ja auch logisch. Angenommen, jemand würde Ihnen ein Haus verkaufen wollen, an dem er sich die lebenslange Nutzung vorbehält. Dafür würden Sie ja auch nicht den vollen Preis bezahlen.
Stimmt. Wie bemisst sich der Wert des Nießbrauchs?
Dafür gibt es eine Steuertabelle. Also zum Beispiel: Die Immobilie hätte einen jährlichen Mietwert von 20 000 Euro Kaltmiete, die man dafür bekommen könnte. Der Schenker ist 65 Jahre alt und männlich. Dann gibt es einen bestimmten Vervielfältiger, sagen wir 11,525. Das wird multipliziert mit den 20 000, das ergibt den Kapitalwert des Nießbrauchs. Also 200 000 Euro in unserem Beispiel. Der Vervielfältiger steigt natürlich, je jünger der Schenker ist. Auch das ist logisch.
Welche Rolle spielt die Zehn-Jahresfrist bei Schenkungen? Da heißt es immer, dass ein Nießbrauch verhindert, dass diese Frist zu laufen beginnt. Können Sie das für uns auseinanderdividieren.
Danke für die Frage! Hier werden immer wieder zwei Dinge vermischt, die nichts miteinander zu tun haben.
Erklären Sie!
Schublade 1: Hierin geht es um die Erbschaftsteuer. Da gibt es eine Zehn-Jahresfrist, die besagt: Alle zehn Jahre kann ich die steuerlichen Freibeträge aufs Neue nutzen. Also: Wenn ich heute meinem Sohn etwas schenke, kommt der Freibetrag von 400 000 Euro zum Ansatz. Nach zehn Jahren kann ich ihm wieder etwas im Wert von 400 000 Euro schenken oder vererben, ohne dass er Steuern zahlen muss. Nießbrauch schadet da nicht! Er verhindert also nicht, dass die Zehn-Jahresfrist läuft. So, Schublade 1 zu. Wir öffnen die Schublade 2. Darin liegt etwas ganz anderes, nämlich das Pflichtteilsrecht, geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch. Auch hier gibt es eine Zehn-Jahresfrist, deshalb gibt es wohl so viele Verwechslungen. Diese Zehn-Jahresfrist gilt für Schenkungen bei der Pflichtteilsergänzung.
Was heißt das genau?
Der Gesetzgeber will verhindern, dass jemand am Sterbebett den Notar ruft, um alles seinem Lieblingssohn zu vermachen, damit der andere nichts bekommt. Deshalb wird der Pflichtteil auch berechnet aus den Schenkungen der vergangenen zehn Jahre. Vor Jahren hat dann der Bundesgerichtshof entschieden, dass dann, wenn der Schenker sich den Nießbrauch, also das Nutzungs- und Vermietungsrecht, einer Immobilie vorbehält, dass dann die Zehn-Jahresfrist nicht zu laufen beginnt – zum Schutz der Pflichtteilsberechtigten. Denn dann hat ja keine Übertragung des Eigentums mit allen Konsequenzen stattgefunden.
Was ist, wenn ein Erbe sich die Erbschaftsteuer nicht leisten kann?
In seltenen Fällen kann man vielleicht eine Stundung beim Finanzamt vereinbaren. Aber das ist schwierig und in der Regel teurer, als wenn ich einen Bankkredit aufnehme, der durch die Immobilie abgesichert ist. Das ist wirklich ein großes Problem, weil hier die Finanzbehörden sehr restriktiv sind.
In Städten wie München gibt es immer öfter Fälle, dass Erben Mietshäuser verkaufen müssen, weil sie die Steuer nicht bezahlen können. Dann übernehmen Investoren, was meistens dazu führt, dass Mietwohnungen zu Eigentum werden oder die Mieten kräftig steigen. Wie könnte man das verhindern?
Es gäbe schon Lösungen, die sind aber politisch kaum durchsetzbar.
Nämlich?
Man könnte ganz generell Steuerbefreiungen und Ausnahmen kappen und dafür die Steuersätze allgemein senken, etwa auf drei bis zehn Prozent und entsprechende Ratenzahlungsmodelle. Das würde meiner Ansicht nach am Steueraufkommen nicht viel ändern, wäre aber viel gerechter und tragbarer. Oder man könnte die Erbschaftsteuer stunden, bis die Immobilie tatsächlich zu Geld gemacht wird. Das würde auch bei Fällen helfen, die es in den vergangenen Jahren immer öfter gibt. Dass nämlich ein kleines Häuschen, vor Jahrzehnten angeschafft, heute so viel wert ist, dass eine Frau, die das von ihrem Bruder erbt, keine Chance hat, jemals die Erbschaftsteuer zu bezahlen. Bei meiner Lösung müsste sie erst Steuern bezahlen, wenn sie – oder ihr Erbe – das Häuschen wirklich verkauft.
Der Gesetzgeber hat soeben auch das Jahressteuergesetz und damit die Regelungen zur Bewertung von Immobilien geändert. Was heißt das in der Praxis?
Die Änderungen sind sehr vertrackt. Mir war erst beim zweiten Lesen im vergangenen September klar, was da für Bomben versteckt sind. Nur ein Beispiel: Die Wertzahl hat sich verändert. Da fragt man sich, was ist denn das? Die Wertzahl ist eine Umrechnungsgröße für die vom Gutachterausschuss ermittelten Bodenrichtwerte. Ich habe zum Beispiel einen Fall in Grünwald. Da hat sich die Wertzahl zum Jahresbeginn von 1,0 auf 1,4 geändert. Also: 1000 Quadratmeter Grund mal 1800 Euro macht 1,8 Millionen Euro. Das war der Bodenwert bis zum Jahresende 2022. Jetzt hat der Gesetzgeber beschlossen, das Ganze noch mal mit 1,4 zu multiplizieren. Das macht in der Praxis mal eben eine Erhöhung um 40 Prozent.
Kann man da gar nichts machen?
Wenn der Gutachterausschuss jetzt nicht für diese spezielle Gegend andere Wertzahlen veröffentlicht, die geringer sind, bleibt dem Besitzer nichts anderes übrig, als auf eigene Kosten durch ein Gutachten zu beweisen, dass der Grund nicht so viel wert ist. Ich finde, der Gesetzgeber ist in vielen Fällen übers Ziel hinausgeschossen. Und er macht es sich leicht, indem er sagt, soll doch der Steuerbürger beweisen, dass die Werte zu hoch sind. Ich finde das skandalös. Zumal man bei Immobilien immer einen gewissen Bewertungsspielraum braucht. Wie viel Geld am Ende tatsächlich den Besitzer wechselt, ist schwer vorauszusagen. Also: 10 oder 20 Prozent Bewertungsspielraum nach unten wären nur fair.
Interview: Corinna Maier