Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), verdeutlichte vor kurzem die Sicht der Notenbanker auf die aktuelle Wirtschafts- und Inflationslage und die daraus abgeleitete Handlungsmaxime für die kommenden geldpolitischen Entscheidungen. Ihr zufolge haben die Leitzinsanhebungen der vergangenen Monate bereits eindeutig zur Verteuerung der Finanzierungskonditionen für Unternehmen und Private beigetragen, erkennbar an stark gestiegenen Hypothekenzinsen und Renditen für Staats- und Unternehmensanleihen. Auch kühlt sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ab, wenngleich dies zu einem guten Teil auf den breigefächerten Preisanstieg des letzten Jahres und nicht explizit auf die straffere Geldpolitik zurückzuführen ist. Es gibt allerdings zwei Faktoren, die Schnabel zufolge weiterhin einen aufwärts gerichteten Inflationsdruck untermauern: die Entwicklung von Löhnen und Gewinnmargen. Sowohl deutlich steigende Löhne als auch die anhaltende Möglichkeit von Unternehmen, gestiegene Kosten auf die Endverbraucherpreise umzuwälzen, könnten dazu beitragen, dass sich die Inflationserwartungen vom angestrebten Ziel der EZB in Höhe von 2 Prozent abkoppeln.
Daher wird die Notenbank vorerst weiter „auf Sicht fahren“, also ihre geldpolitischen Entscheidungen eng an die jeweils aktuellen volkswirtschaftlichen Daten anlehnen. In den vergangenen Tagen deutete sowohl der ifo-Geschäftsklimaindex als auch der GfK-Konsumklimaindex eine weitere Stabilisierung der Konjunkturdynamik in den kommenden Monaten an. Zudem stieg die Inflationsrate in Deutschland im Januar auf 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, nachdem die Teuerung im Dezember etwas schwächer ausgefallen war. Für die gesamte Eurozone wurde mit 8,6 Prozent ein vergleichbar hoher Wert vermeldet. Die EZB-Offiziellen werden jedoch besonders genau auf die Kernrate der Inflation ohne die besonders schwankungsanfälligen Komponenten Energie und Nahrungsmittel achten, die in Deutschland und in der Eurozone erneut auf 5,6 bzw. 5,3 Prozent angestiegen ist.
Offensichtlich hat sich der ursprünglich vor allem von steigenden Rohstoff- und Energiepreisen ausgehende Inflationsdruck also bereits durch die Produktionsketten gearbeitet. Vor diesem Hintergrund stehen in der kommenden Woche die Veröffentlichungen der Februar-Inflationsdaten im Mittelpunkt des Interesses. Damit bleibt es beim bekannten Muster der vergangenen Wochen: eine zunehmende wirtschaftliche Stabilisierung geht mit weniger stark sinkenden Inflationsraten einher und dürfte die Notenbanken zu weiteren Zinsanhebungen veranlassen.
Zwar bleibt der Beginn einer Leitzinserhöhungspause im Laufe des zweiten Quartals realistisch, Zinssenkungen jedoch sind bis zum Jahresende äußerst unwahrscheinlich. Für weitere Kurszuwächse an den Aktienmärkten fehlen daher vorerst positive Impulse.