Wer ein Haus oder eine Eigentumswohnung schon zu Lebzeiten an die nächste Generation weitergeben möchte, der stößt unweigerlich auf den Begriff Nießbrauch. Damit ist gemeint, dass zwar das Eigentumsrecht übergeben wird, nicht aber das Nutzungsrecht. Wie das genau funktioniert und welche Vorteile das hat, besprachen wir mit dem Fachanwalt für Erbrecht Anton Steiner.
Was ist der Unterschied zwischen Nießbrauch, Wohnrecht und Leibrente?
Nießbrauch ist ein umfassendes Nutzungsrecht an einer Immobilie: Ich kann selbst darin wohnen, ich kann sie vermieten und so Einnahmen erzielen oder ich kann sie leer stehen lassen – kurzum, ich bin für die Dauer des Nießbrauchs, und das ist in der Regel auf Lebenszeit, wirtschaftlicher Eigentümer der Immobilie. Das ist die umfangreichste Absicherung, die wir bei vorweggenommener Erbfolge haben.
Nur verkaufen kann ich nicht, oder?
Stimmt, die Immobilie gehört einem juristisch nicht mehr.
Der nächste Begriff ist das Wohnrecht.
Das bedeutet das Recht, die Immobilie selbst zu bewohnen. Es umfasst auch die Möglichkeit, Angehörige oder Pflegepersonal mit aufzunehmen. Aber das ist natürlich die schlechtere Absicherung. Wir raten in aller Regel zu Nießbrauch.
Was hat es mit Leibrente auf sich?
Eine Leibrente ist eine monatliche Geldzahlung, die in der Regel im Grundbuch abgesichert ist. Das kann zum Beispiel interessant sein, wenn jemand eine vermietete Wohnung hat und sich vielleicht aus Altersgründen nicht mehr selbst darum kümmern kann und will. Dann kann man das zum Beispiel dem Sohn übertragen und dafür für sich eine bestimmte Summe als monatliche Versorgung vereinbaren, die der Sohn aus den Mieteinnahmen finanzieren kann.
Der häufigste Fall dürfte der Nießbrauch sein. Wann und für wen ist das interessant?
Der klassische Vorbehalts-Nießbrauch ist immer interessant, wenn eine Immobilie zu Lebzeiten übertragen werden soll, man sich aber das Nutzungsrecht auf Lebenszeit sichern will. Es geht auch, zu vereinbaren, dass im Fall des Todes zum Beispiel des einen Ehegatten der andere den Nießbrauch bekommt. Nießbrauch lässt sich zwar nicht vererben, aber aufschiebend bestellen.
Muss man dafür zum Notar?
Ja. Der Nießbrauch soll ja auch im Grundbuch abgesichert sein.
Was kostet so etwas?
Das richtet sich nach dem Wert der Immobilie. Man muss grob mit etwa 0,5 Prozent des Wertes rechnen. In der Regel geschieht das zusammen mit der Übertragung der Immobilie an die nächste Generation, sodass dafür keine zusätzlichen Notarkosten anfallen.
Das Motiv für die lebzeitige Übertragung ist ja meist, dass Erbschaftsteuern gespart werden können. Wie wirkt sich denn ein Nießbrauch steuerlich aus?
Das hängt davon ab, wie hoch die Mieteinnahmen sind – die tatsächlichen oder theoretisch erzielbaren, wenn die Immobilie selbst genutzt ist. Und es hängt vom Alter desjenigen ab, der sich den Nießbrauch sichert.
Haben Sie ein Rechenbeispiel?
Nehmen wir an, die geschenkte Immobilie hat einen (steuerlichen) Wert von einer Million Euro. Heutzutage entspricht dies meist auch dem Verkehrswert, also dem Wert, den man beim Verkauf erzielen könnte. Die monatliche Kaltmiete beträgt 2000 Euro. Der Mietwert bei selbst genutzten Immobilien ist ebenfalls 2000 Euro – also der Wert, den man erzielen könnte, wenn die Immobilie vermietet wird. Dies ergibt jährlich 24 000 Euro. Angenommen, der Schenker ist weiblich und 76 Jahre alt, dann beträgt der Vervielfältiger 9,084. Bei einem 76-jährigen Mann wäre er 8,005, da Männer eine geringere statistische Lebenserwartung haben. 9,084 x 24 000 ergibt 218 016 Euro. Um diesen Betrag mindert sich der Wert der Schenkung von einer Million Euro, sodass also beispielsweise bei einer Schenkung an zwei Kinder (Freibetrag je 800 000 Euro) diese Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt steuerfrei bliebe.
Also je jünger derjenige ist, der sich den Nießbrauch sichert, umso größer der steuerliche Wert?
Ja, das ist ja auch nachvollziehbar. Wenn jemand mit 60 das Haus übergibt und sich den Nießbrauch sichert, wird er den noch lange genießen können. Und für den Beschenkten dauert es entsprechend lange, bis er selbst die Mieteinnahmen bekommt. Das hat der Gesetzgeber übrigens erst im Jahr 2009 akzeptiert, vorher war das nicht abzugsfähig. Also zusammenfassend: Heute wird ein Kapitalwert ermittelt, der sich aus zwei Faktoren zusammensetzt, der tatsächlichen oder fiktiven Jahresmiete und einem Vervielfältiger, der vom Alter und Geschlecht des Nießbrauchnehmers abhängt.
Was sind denn die Rechte und Pflichten beim Nießbrauch?
Der Nießbraucher ist ja wirtschaftlicher Eigentümer. Das heißt, er bekommt die Einnahmen und deshalb hat er auch alle Kosten zu tragen – Steuern, Reparaturen, das bleibt alles wie es war. Die nächste Generation hat ja auch noch nichts von der Immobilie.
Gibt es Nießbrauch nur bei Immobilien oder ist er auch bei einem Aktiendepot denkbar?
Das ginge auch, ist aber viel komplizierter. Der Nießbraucher darf ja nur die Erträge vereinnahmen, also nur die Dividenden, nicht aber die Kursgewinne. Da muss man sehr aufpassen, wenn dann thesauierende Wertpapiere im Depot sind, bei denen die Gewinne sofort wieder angelegt werden. Bei der Zuordnung schauen die Steuerbehörden immer sehr kritisch drauf. Für den Normalbürger ist das kein gutes Instrument.
Dann bleiben wir bei Immobilien. Kann man einen Nießbrauch auch wieder rückgängig machen?
Der Nießbrauch endet mit dem Tod des Schenkers, einvernehmlich können die Beteiligten den Nießbrauch auch vorher wieder durch Vereinbarung aufheben. Allerdings ist dies eine zusätzliche Zuwendung. Also angenommen, ich habe meinem Sohn als 60-Jähriger die Immobilie mit Nießbrauchsvorbehalt geschenkt, jetzt bin ich 70 und sage: Ach, ich brauche das Geld eigentlich gar nicht, ich verzichte auf den Nießbrauch. Das ist aber eine weitere Schenkung an den Sohn, die zu einer Schenkungsteuerpflicht führen kann. Als geschenkt gilt dann aber nicht der ursprüngliche Kapitalwert des Nießbrauchs. Angenommen, der Nießbrauch war vor zehn Jahren 400 000 Euro wert, so wird er heute 250 000 Euro oder weniger wert sein. Der Vervielfältiger ist ja gesunken, weil ich zehn Jahre älter bin.
Kann ich ein Nießbrauchsrecht weitervererben?
Nein, dann würde sich da der Nießbrauch theoretisch ewig fortsetzen. Nießbrauch ist nicht übertragbar und nicht vererblich. Aber: Man kanneinen weiteren Nießbrauch von Anfang an vereinbaren. Zum Beispiel, wenn ein Vater seine Immobilie der Tochter unter Nießbrauchsvorbehalt schenkt, kann er zugleich einen Nießbrauch zu Gunsten der Mutter eintragen, der dann bis zu deren Lebensende gilt.
Interview: Corinna Maier