Zwei – in der öffentlichen Wahrnehmung eher unterrepräsentierte – Entwicklungen halten Ökonomen und Kapitalmarktakteure seit Wochen in Atem: der massive Anstieg der Rohölnotierungen seit Anfang Juli und immer weiter steigende Renditen von Anleihen mit längeren Laufzeiten. Der Preis für ein Barrel Rohöl der Nordseesorte Brent stieg innerhalb von drei Monaten von 75 auf knapp 97 US-Dollar. Die Abwertung des Euro von 1,12 auf 1,05 Euro/Dollar in diesem Zeitraum verschärfte den Preisanstieg in Europa zusätzlich, sodass per saldo ein Plus von rund 30 Prozent zu Buche stand. Hintergrund dieser Entwicklung waren vor allem Meldungen zu verlängerten Produktionskürzungen durch Saudi-Arabien und Russland. Der resultierende Energiepreisanstieg bremst einerseits die ohnehin sehr schwache globale Wachstumsdynamik. Zudem bewirkt er, dass der seit Monaten inflationsdämpfende Preis-Basis-Effekt durch den Vergleich der aktuellen Energiepreise mit den Höchstwerten des Vorjahres deutlich abnahm.
Diese Entwicklung dürfte viele Notenbanken zuletzt in ihren anhaltenden Warnungen vor nach wie vor bestehenden Preisrisiken bestärkt haben. Viele Marktteilnehmer gingen offensichtlich davon aus, dass die Leitzinsen trotz eines möglichen Endes der Leitzinserhöhungszyklen sehr lange auf den derzeitigen Niveaus verharren würden („higher for longer“). Somit stiegen die Zinsen an den Kapitalmärkten immer weiter an – sowohl bei Staats- und Unternehmensanleihen als auch bei privaten Hypothekenfinanzierungen und sonstigen Kreditkonditionen. Höhere Ölpreise und gestiegene Zinsen sind jedoch zusätzliche Belastungsfaktoren für die derzeit ohnehin schwache Wirtschaft. Die Nachfrage nach Kapital für Investitionen, den Hausbau oder sonstige Anschaffungen sinkt genauso wie die Konsumbereitschaft.
Passend dazu verdeutlichte der letzte GfK-Konsumklimaindex, dass deutsche Konsumenten wieder mehr sparen. Insgesamt nimmt somit die Nachfrage nach Energie ab und dürfte in den kommenden Wochen dafür sorgen, dass sich der absehbare Trend sinkender Rohölpreise fortsetzt. Damit wäre auch der Weg für weiter sinkende Inflationsraten frei und in der Folge für nachgebende Renditen.
Es ist also realistisch anzunehmen, dass sich die aktuell teils sehr pessimistischen Einschätzungen der Lage in Umfragen unter Unternehmen in Europa, wie dem ifo-Geschäftsklimaindex, künftig langsam erholen und sogar positiv überraschen könnten.
In den USA hingegen hat sich die Wachstumsdynamik bisher nur leicht abgekühlt, unter anderem weil Energiepreise deutlich weniger stark angestiegen sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die US-Volkswirtschaft nicht dauerhaft der globalen Konjunkturschwäche entziehen kann, zumal die massiv gestiegenen Zinsen auch hier zunehmend die Wirtschaft ausbremsen. Damit bleibt das Szenario einer milden Rezession in den USA im Laufe des ersten Halbjahres 2024 wahrscheinlich.