DIE BÖRSENWOCHE

Unsicherheit unerwünscht

von Redaktion

Diesen Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahlen statt und kommenden Donnerstag sind die Menschen im Vereinigten Königreich zum Gang an die Wahlurnen aufgerufen. Die Marktreaktionen auf die in beiden Ländern vorgezogenen Neuwahlen hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. Während im Vereinigten Königreich die Ankündigung der Neuwahlen durch Premier Sunak zu einer spürbaren Aufwertung des Pfunds führte, reagierten die Märkte auf die völlig überraschende Parlamentsauflösung durch Präsident Macron mit einer deutlichen Ausweitung der Risikoprämien für französische Assets.

Der Grund für die konträre Reaktion ist einfach: Unsicherheit. In UK deuten die Wahlumfragen auf eine Ablösung der Tories durch die Labour-Party hin. Unter Vorsitz von Keir Starmer wirbt Labour damit, möglichst wenige Veränderungen zu machen und die in den letzten Jahren sehr erratische (Fiskal-)Politik der Tories, die in der kurzen Regierungszeit von Liz Truss ihren Höhepunkt fand, zu beenden. In Frankreich hingegen ist der Ausgang der Wahl, bei der die zweite Runde am 7. Juli stattfindet, unübersichtlicher, wenngleich die Umfragen auf einen Sieg des bereits bei den Europawahlen erfolgreichen „Rassemblement National“ (RN) hindeuten.

Der RN macht nicht nur mit rechtspopulistischen Parolen von sich reden, sondern proklamiert auch eine laxe Fiskalpolitik. Selbst bei einer absoluten Mehrheit wären jedoch die Möglichkeiten einer RN-Regierung beschränkt, da in Frankreich der Präsident über ein weitreichendes Vetorecht verfügt. Daher dürfte es nach den Wahlen auch in Frankreich zunächst eine gewisse Erleichterung geben. Wir bezweifeln jedoch, dass das Kalkül von Präsident Macron aufgeht, den RN im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im Jahr 2027 zu entzaubern.

Zudem dürfte ein innenpolitisch stark eingebundener französischer Präsident weniger Zeit haben, sich den EU-Themen zu widmen, was nach der Stärkung der europakritischen Parteien im EU-Parlament und der sich selbst lahmlegenden deutschen Regierung wichtiger denn je wäre. Auch wenn die amtierende EU-Kommissionsvorsitzende von der Leyen vom EU-Rat der Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtsperiode vorgeschlagen wurde, ist ihre Wahl im Parlament alles andere als sicher und die Agenda der kommenden Kommission steht noch aus.

Bei der ersten TV-Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten in der Nacht zum Freitag ging laut verschiedener Umfragen der republikanische Herausforderer Trump als klarer Sieger gegen Amtsinhaber Biden von den Demokraten hervor. Der US-Wahlkampf ist damit offiziell eröffnet.

Trotz der Fokussierung auf die persönlichen Defizite der Kandidaten zeichnet sich ab, dass ähnlich wie in Europa die Themen Migration und Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen. Aus Marktsicht dürfte aber die künftige Ausgestaltung der Fiskalpolitik besondere Aufmerksamkeit finden.

Ähnlich wie in Großbritannien unter Premierministerin Truss im Jahr 2022 und den aktuellen Befürchtungen in Frankreich dürfte sich auch in den USA eine ausufernde Verschuldung in steigenden Risikoprämien für Staatsanleihen widerspiegeln. Dies könnte den von uns erwarteten Rückgang der langfristigen Renditen im Rahmen der prognostizierten Zinssenkungen der Zentralbanken gefährden. JÜRGEN MICHELS

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