DIE BÖRSENWOCHE

Wirtschaft und Börsen von Politik überlagert

von Redaktion

Die gerade veröffentlichten Daten zu den Auftragseingängen und zur Produktion der deutschen Industrie im Mai fielen enttäuschend aus. Erwartet wurde jeweils ein leichtes Plus im Vergleich zum Vormonat. Tatsächlich aber brach die Industrieproduktion um 2,9 Prozent ein, wobei das Minus in der Automobilindustrie und im Maschinenbau überproportional stark ausfiel. Immer deutlicher wird ein ausgeprägter und fast alle Branchen betreffender Auftragsmangel. So gaben die Auftragseingänge für das Verarbeitende Gewerbe im Mai um 1,6 Prozent nach. Vor allem aus dem Ausland außerhalb der Eurozone wurde weniger geordert.

Doch die Ursachen der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche Deutschlands liegen nicht nur in der zyklusbedingt seit Monaten sehr zurückhaltenden globalen Industriegüternachfrage. Laut dem aktuellen World Competitiveness Ranking, einem internationalen Vergleich für Standortqualität, rutschte Deutschland erneut ab. Die Problemfelder sind altbekannt: vor allem hohe Lohnnebenkosten, teure Energie, Arbeitskräftemangel und komplexe Bürokratie. Zudem leidet gerade die auf den Export von Industriegütern fokussierte deutsche Volkswirtschaft besonders unter stetig zunehmenden Handelsrestriktionen. Die jüngst beschlossene Anhebung von Zöllen auf den Import chinesischer Elektroautos durch die Europäische Union dürfte diesen Trend weiter anschieben und Gegenreaktionen provozieren. Es ist offensichtlich, dass Globalisierung im Sinne internationaler Arbeitsteilung immer weiter zurückgeschraubt wird. Bemerkenswert ist, dass derzeit kein Ende der politisch forcierten Spirale des Protektionismus in Sicht ist, obwohl alle Beteiligten darunter leiden. Denn die Folge sind steigende Preise in den betroffenen Produktkategorien.

Im Gegenteil deutet der Wahlerfolg des Rassemblement National (RN), der Partei Marine Le Pens in Frankreich, sowie die zuletzt deutlich gestiegenen Chancen Donald Trumps auf eine Wiederwahl zum US-Präsidenten im November darauf hin, dass nationalstaatliche Interessen zulasten internationaler Kooperationsbereitschaft vorerst weiter in den Vordergrund rücken. Entsprechend steht an diesem Wochenende die zweite Runde der französischen Parlamentswahlen im Fokus. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch eine neue französische Regierung nicht sofort mit allen gemeinsamen Vorhaben innerhalb Europas brechen und das staatliche Defizit in neue Höhen schrauben wird. Denn die Reaktion an den Kapitalmärkten ist bereits vor den Wahlen unmissverständlich in Form deutlich steigender Zinsen für französische Staatsanleihen und einbrechender Kurse französischer Aktien erfolgt. Sollte es aufgrund zu forscher Ausgabenpläne des RN zu größeren Turbulenzen an den Börsen kommen, könnte der lange und mühsame Aufstieg Le Pens noch vor dem Erreichen ihres eigentlichen Ziels, dem Amt als Staatspräsidentin, enden. Die Börse überlässt der Politik also nicht ohne Weiteres das Feld.

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