Allzeithochs sind keine so große Seltenheit wie viele meinen. Fast ein Drittel der Zeit befinden sich Aktienmärkte (hier die Wall Street in New York) in einem Rekordzyklus. © ANGELA WEISS, afp
Aktienanleger können sich über das laufende Jahr nicht beklagen. Anfang Januar notierte der deutsche Leitindex Dax bei 16 769 Punkten. Doch übertraf er diese Marke noch im gleichen Monat, nur um dann im Februar erstmals über 17 000 Punkte zu steigen. Aber damit nicht genug: Mitte Mai kletterte der Index auf ein neues Allzeithoch bei knapp 18 900 Punkten. Zwar brachen die Aktienmärkte Anfang August deutlich ein, doch jetzt erreichte der Dax bereits wieder ein neues Allzeithoch.
Seit Jahresbeginn hat der Index damit gleich mehrfach neue Höchststände erreicht und insgesamt rund zwölf Prozent zugelegt – sicherlich zur Freude jener Anleger, die in Aktien investiert sind. Doch was machen diejenigen, die noch an der Seitenlinie stehen? Ist es klug, dann einzusteigen, wenn sich die Aktienindizes nahe ihres Höchststandes befinden? Ist das Rückschlagrisiko dann nicht besonders hoch?
■ Rekordhochs sind keine Seltenheit
„Diese Sorge ist nachvollziehbar“, sagt Steffen Kunkel, Chef-Investmentstratege bei der Bethmann Bank. „Die Angst, am Gipfel zu kaufen, nur um dann einem unvermeidlichen Absturz entgegenzusehen, hält viele davon ab, Investitionsmöglichkeiten zu ergreifen.“ Allerdings lohnt sich eine genaue Analyse, ob solche Ängste gerechtfertigt sind. Historische Daten zeigen, dass ein Einstieg an einem Hochpunkt in der Vergangenheit keineswegs nachteilig war.
„Tatsächlich befindet sich der Aktienmarkt häufiger auf einem Allzeithoch, als man vermuten würde“, erläutert Duncan Lamont, Leiter strategisches Research bei Schroders in einem Kommentar. Seinen Berechnungen zufolge war dies seit Januar 1926 in 30 Prozent der Monate der Fall. „Und im Durchschnitt entwickelten sich die Zwölf-Monats-Renditen nach Erreichen eines Allzeithochs besser als zu anderen Zeitpunkten“, sagt Lamont.
■ Höhere Rendite in der Vergangenheit
Bei amerikanischen Titeln mit hoher Marktkapitalisierung, sogenannten Large Caps, lag die inflationsbereinigte Rendite nach Erreichen eines Allzeithochs bei 10,3 Prozent. Stieg man dagegen ein, wenn der Markt nicht auf einem Höchststand war, waren es nur 8,6 Prozent. Und auch über einen Zwei- oder Dreijahreshorizont fielen die Renditen nach einem neuen Rekordstand in Durchschnitt besser aus.
■ Verkaufen meistens keine gute Idee
Dass es besser ist, auch bei einem neuen Rekordstand investiert zu bleiben, zeigen auch andere Zahlen. So brachte der US-Aktienmarkt zwischen Januar 1926 und Ende 2023 nach Berechnungen von Schroders eine jährliche Rendite von 7,1 Prozent nach Inflation. Wer jedoch jedes Mal, wenn der Markt ein Allzeithoch erreichte, aus dem Markt ausstieg und erst dann wieder investierte, wenn der Markt nicht auf einem Höchststand war, kam nur auf einen inflationsbereinigten Zuwachs von 4,7 Prozent pro Jahr.
■ Märkte bewegen sich in Zyklen
Dass der Aktienmarkt dazu tendiert, nach Erreichen eines neuen Höchststandes weiter gut zu laufen, hat verschiedene Ursachen. So verweist Steffen Kunkel darauf, dass sich Märkte in Zyklen bewegen. „Sie durchlaufen Phasen des Wachstums und der Korrektur“, erklärt er. „In Wachstumsphasen war es in der Vergangenheit so, dass Aktienmärkte dazu tendierten, über lange Zeiträume hinweg zu wachsen.“ Neue Höchststände sind also ein natürlicher Teil des Marktwachstums und führen nicht zwangsweise zu einem unmittelbaren Kurseinbruch.
„Außerdem spiegeln Höchststände in der Regel die zugrunde liegende wirtschaftliche Stärke und das Potenzial der Unternehmen in einem solchen Umfeld wider“, so der Experte weiter. „Innovation, technologischer Fortschritt und das Wachstum der globalen Märkte können zu höheren Unternehmensgewinnen führen.“ Und steigende Gewinne bei den Firmen treiben die Aktienkurse an. Das heißt, dass neue Höchststände weniger eine Warnung als vielmehr ein Spiegelbild des wirtschaftlichen Potenzials sind.
■ Gute Gründe für Optimismus
Zudem darf man nicht vergessen, dass es aktuell gute Gründe gibt, zu investieren oder investiert zu bleiben. Im Euroraum scheint sich die Wirtschaft zu stabilisieren, und die Inflation ist rückläufig. „Das eröffnet den Notenbanken einen gewissen Handlungsspielraum für Zinssenkungen“, erläutert Kunkel. Und Zinssenkungen sind generell positiv für die Wirtschaft. Zudem könnte eine anhaltend solide Entwicklung bei den Firmengewinnen für weitere Höchststände im Jahresverlauf sorgen.
■ Wiedereinstieg ist schnell verpasst
Einerseits sollten sich Anleger bei einem Einstieg in den Aktienmarkt also nicht von einem Allzeithoch abhalten lassen. Andererseits sind Höchststände für diejenigen, die schon investiert sind, kein Grund zu verkaufen. „Es spricht zwar nichts dagegen, Gewinne mitzunehmen“, so Kunkel. „Allerdings geht der Versuch, den richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu finden, in aller Regel daneben.“ Und selbst wenn man rechtzeitig verkauft, ist fraglich, ob man in den Markt kommt, bevor dieser wieder steigt. Letzteres ist nicht so einfach, wie sich in der Corona-Pandemie zeigte. Am 9. März 2020 verlor der Dax 7,9 Prozent, am 12. März waren es noch mal 12,2 Prozent – der höchste Tagesverlust seit 1989. Doch erholte sich der Markt schnell. Im Herbst markierte der Leitindex ein neues Allzeithoch. „Wer also verkaufte, als die Kurse fielen, musste sehr schnell wieder in den Markt, um die Erholung nicht zu verpassen“, sagt Kunkel und rät: „Da das häufig nicht gelingt, sollte man besser investiert bleiben.“