Wenn ein Sohn zum Alleinerben auserkoren wird, sind die anderen Kinder automatisch enterbt. Anspruch auf einen Pflichtteil haben sie in den allermeisten Fällen dennoch. © Hans Wiedl, dpa
Die Fürsorgepflicht für die Nächsten reicht über den Tod hinaus. Der Gesetzgeber verhindert, dass Kinder und Ehepartner ganz ohne Erbe bleiben. Über Pflichtteil, Pflichtteilsergänzungsansprüche, Schenkungen und die Erbfolge sprachen wir mit dem Fachanwalt Anton Steiner, der auch Präsident des deutschen Forums für Erbrecht ist.
Nicht in allen Familien herrscht Harmonie. Das spiegelt sich dann auch im Testament wider. Ein bestimmtes Familienmitglied soll am besten gar nichts erben. Geht das so einfach?
Grundsätzlich kann ich machen, was ich will, in Deutschland herrscht Testierfreiheit. Also: Ich habe eine tolle Frau, entzückende Kinder – und doch vererbe ich alles dem SOS-Kinderdorf. Ich kann sie alle enterben, ohne jeden Grund und niemand kann mich daran hindern. Aber: Der Gesetzgeber sieht vor, dass bestimmte enge Familienmitglieder, wenn sie enterbt werden, Anspruch auf einen Pflichtteil haben.
Wie viel ist das?
Die Hälfte der gesetzlichen Erbquote in bar.
Wer hat so einen Anspruch?
Der Ehegatte, die Kinder und sollte ein Kind schon verstorben sein, die Enkelkinder. Bei Kinderlosen haben die Eltern einen Pflichtteilsanspruch. Und sonst niemand, Geschwister nicht, Neffen und Nichten nicht, Lebensgefährten nicht.
Wie kann man den Pflichtteil so gering wie möglich halten?
Nehmen wir als Beispiel ein uneheliches Kind, zu dem der angehende Erblasser nie viel Kontakt hatte. In dem Fall kann man versuchen, mit dem Kind einen notariellen Pflichtteilsverzicht zu vereinbaren, im Gegenzug bietet man eine bestimmte Geldsumme an. Vielleicht freut sich derjenige, wenn er frühzeitig etwas bekommt, vielleicht kann er das Geld gerade gut gebrauchen.
Eine andere Möglichkeit gibt es nicht?
Ganz, ganz selten sind die Voraussetzungen für einen Pflichtteilsentzug gegeben. Dafür sieht das Gesetz aber sehr massive Gründe vor, da muss es schon Angriffe auf Leib und Leben des Erblassers gegeben haben oder andere schwere Straftaten vorliegen.
Kann man verhindern, dass ein Berechtigter den Pflichtteil verlangt?
Dafür gibt es die sogenannte Strafklausel im Testament. Die besagt im Fall unseres Beispiels des Ehepaars mit zwei Kindern: Wir beerben uns gegenseitig und nach dem Tod des Zweiten erben unsere beiden Kinder je zur Hälfte. Wenn aber eines der Kinder nach dem ersten Todesfall bereits seinen Pflichtteil geltend macht, ist es beim zweiten Erbfall enterbt und bekommt auch da nur seinen Pflichtteil. Damit habe ich aber nur einen Abschreckungseffekt, ich kann nicht verhindern, dass ein Kind den Pflichtteil verlangt.
Kann man nicht den Pflichtteil mit lebzeitigen Schenkungen zumindest klein halten?
Schenkungen sind ein sehr wichtiges Thema. Dazu muss man nur einiges wissen. Man kann nämlich nicht einfach auf dem Sterbebett alles seinem Lieblingssohn schenken. Das verhindert das Gesetz durch sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche. Das heißt, bestimmte Schenkungen werden der Erbschaft hinzugerechnet. Und auch die weniger geliebten Kinder bekommen einen Teil davon.
Wie wird das genau berechnet?
Pflichtteilsergänzungsansprüche sind im Detail recht kompliziert. Man kann sich aber Folgendes merken: 1. Schenkungen an den Ehegatten zählen immer mit bei der Berechnung des Pflichtteils. 2. Schenkungen, bei denen ich mir wesentliche Rechte vorbehalten habe, zählen auch immer mit. Wenn ich zum Beispiel eine Wohnung verschenke, mir aber den Nießbrauch daran gesichert habe, bekommen die anderen Kinder ohne zeitliche Begrenzung den Wert der Wohnung in ihren Pflichtteil eingerechnet.
Was hat es mit der Zehn-Jahres-Frist auf sich?
Wenn ich meinem Lieblingssohn ohne Wenn und Aber 100 000 Euro schenke, beginnt eine Abschmelzungsfrist zu laufen – die berühmte Zehn-Jahres-Frist. Die nutzt nichts, wenn ich heute das Geld verschenke und morgen sterbe. Dann bekommt der zweite Sohn den Pflichtteil, der mit den gesamten 100 000 Euro errechnet wird. Lebt der Vater noch ein Jahr, dann sind es nur noch 90 000 Euro, nach zwei Jahren 80 000 Euro und so weiter. Nach zehn Jahren ist die Schenkung völlig aus der Betrachtung des Erbes herausgewachsen. Aber wohlgemerkt: Das gilt nicht für Schenkungen unter Ehegatten und nicht bei Schenkungen, die mir wesentliche Rechte sichern.
Wie formuliere ich eine Enterbung im Testament? Langt es, wenn ich andere Erben einsetze?
Das reicht. Man muss die Person nicht namentlich und ausdrücklich enterben. Nur beim Pflichtteilsentzug muss man die Gründe konkret nennen, also tätlicher Angriff, fünf Jahre Haft wegen Drogenhandels oder was auch immer. Ansonsten ist es einfach so, dass wenn ich meine Frau als Alleinerbin einsetze, meine Kinder automatisch enterbt sind.
Es kommt nicht so selten vor, dass jemand zum Beispiel seinem Sohn eine Immobilie schenkt, aber nicht will, dass im Fall von dessen Tod die Schwiegertochter die Wohnung bekommt. Wie kann man das verhindern?
Das kann man ganz einfach notariell festlegen. Das ist fast schon eine Standardvereinbarung in der notariellen Praxis. Also: Rückforderungen werden klassischerweise vereinbart für den Fall, dass der Sohn in Insolvenz geht, dass Gläubiger sonst wie darauf zugreifen wollen, dass der Sohn die Immobilie ohne meine Zustimmung verkauft oder belastet und eben, wenn er vor mir verstirbt.
Wer erbt denn, wenn jemand ohne Testament stirbt?
Der Gesetzgeber hält sich da an das, was ein Erblasser normalerweise auch wollen würde: Dass der Ehepartner und die Kinder etwas bekommen. Dann bekommen die Eltern etwas, wenn es die nicht mehr gibt, die Geschwister.
Ist auch geregelt, wer wie viel bekommt?
Ja, da gibt es Quoten. Um bei unserem Beispiel, dem Ehepaar mit zwei Kindern, zu bleiben: Wenn ein Ehepartner stirbt, erbt der andere bei Gütertrennung ein Drittel, im Normalfall der Zugewinngemeinschaft die Hälfte und jedes Kind ein Viertel.
Wenn es kein Testament gibt, entsteht oft eine Erbengemeinschaft. Was ist da zu beachten?
Viele meinen fälschlich, wenn man verheiratet ist, ist der Ehegatte automatisch Alleinerbe. Auch bei einem kinderlosen Ehepaar ist das aber nicht immer der Fall. Stirbt der Ehemann und er hat noch einen Bruder, dann erbt dieser Bruder – wenn die Eltern nicht mehr leben – ein Viertel und die Ehefrau drei Viertel. Dann haben wir genau die Erbengemeinschaft, die meistens nicht gewollt ist.
Wie könnte man das in dem Beispiel verhindern?
Ganz einfach, durch ein Testament, in dem sich das Ehepaar gegenseitig als Erben einsetzt. Dann ist der Bruder raus. Er hat ja keinen Pflichtteilsanspruch.
Das Beispiel mit dem Bruder kann recht ungut ausgehen, wenn das Erbe hauptsächlich aus einer Immobilie besteht, oder?
Stimmt. Wenn der Bruder sein Viertel vom Erbe einfordert, kann es sein, dass das Haus verkauft werden muss, um den Anspruch erfüllen zu können. Notfalls kann der Bruder das Haus in die Teilungsversteigerung treiben. Das ist das Problem mit den Erbengemeinschaften: Jedes Mitglied, und sei sein Anteil noch so klein, kann die Versilberung von allem erzwingen.
INTERVIEW: CORINNA MAIER