DIE BÖRSENWOCHE

Politische Stresstests

von Redaktion

Der Krieg im Nahen Osten hat die Themen US-Zölle, US-Staatsfinanzen, US-Rechtsstaatlichkeit und Ukraine-Krieg in den Hintergrund gedrängt. Abgesehen von einem deutlichen Anstieg des Ölpreises haben die Finanzmärkte moderat regiert. Und nach Verkündung einer Waffenruhe durch US-Präsident Trump ging auch der Ölpreis wieder auf den Ausgangswert zurück und die Aktienmärkte erholten sich. Aus Marktsicht scheint alles wieder gut zu sein.

In unserem Jahresausblick 2025 mit dem Titel „Politischer Stresstest“ haben wir hervorgehoben, dass (geo)politische Entwicklungen für die Wirtschaft und das Geschehen an den Finanzmärkten entscheidend sein werden. Im ersten Halbjahr wurden dabei, besonders bei den Zöllen, viele Stressimpulse gesendet. Darauf haben die Märkte mit großen Ausschlägen reagiert. Dennoch notieren die Aktienindizes in den USA und Europa nahe ihrer im ersten Halbjahr erzielten historischen Höchststände.

In der zweiten Jahreshälfte dürfte der politische Stress nicht abnehmen. Neben der Frage eines anhaltenden Waffenstillstands zwischen Israel und Iran, der aus unserer Sicht nicht sehr wahrscheinlich ist, wird erneut die Zoll- und Handelspolitik der USA im Fokus stehen. Hier steht bereits am 9. Juli, dem Ende der 90-tägigen Aussetzung der reziproken US-Zölle, ein wichtiges Datum an und im August endet die temporäre Aussetzung der bilateralen Zölle zwischen China und den USA. Im Juli/August wird auch die „Big Beautiful Bill“ (BBB) in den USA zur finalen Abstimmung kommen, was Sorgen am Rentenmarkt über eine übermäßige US-Staatsverschuldung erneut Auftrieb verleihen dürfte.

Zudem wird mit dem andauernden Krieg in der Ukraine das Thema der eigenständigen europäischen Verteidigung immer drängender werden. Beim harmonischen Nato-Gipfel diese Woche haben sich die Mitglieder zu einer substanziellen Ausweitung der Verteidigungsausgaben verpflichtet. Da Frankreich, Italien und Spanien im Gegensatz zu Deutschland nicht gewillt sind, Budgetumschichtungen vorzunehmen oder im großen Maße neue Schulden für Verteidigungsinvestitionen aufzunehmen, erwarten wir auf EU-Ebene konkrete Diskussionen über gemeinsame Schuldtitel. Dies dürfte vom Markt als Zeichen der europäischen Integration positiv quittiert werden.

Ein Großteil der politischen Entwicklungen hängt auch im zweiten Halbjahr vom Agieren von Präsident Trump ab. Sollte es doch zu einem anhaltenden Waffenstillstand im Nahen Osten kommen, wird er diesen wohl als Erfolg seiner Politik verbuchen. Dies dürfte die Radikalität seiner außen- und innenpolitischen Politikvorstöße vergrößern und die Märkte verunsichern. Wie sich im ersten Halbjahr gezeigt hat, gibt sich letztlich aber auch ein US-Präsident der Macht der Märkte geschlagen.

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