Je später man damit beginnt, Geld zur Seite zu legen, desto größer müssen die monatlichen Summen sein, um zum Ziel zu kommen. Nur auf lange Dauer kommt der Zinseszinseffekt voll zum Tragen. © Christin Klose, dpa
Die ersten 100 000 Euro – für viele Privatanleger gelten sie als magische Schwelle: Ist sie einmal erreicht, kann sie den Vermögensaufbau richtig in Schwung bringen.
■ Emotionaler Meilenstein
„Die ersten 100 000 Euro sind im Vermögensaufbau die größte Hürde, weil man dafür fast ausschließlich von seinem eigenen Spar- und Investitionsverhalten abhängig ist“, sagt Karsten Müller vom Vermögensverwalter „Das Wertehaus“. Darum sei diese Marke vor allem auch ein emotionaler Meilenstein, sagt Anika Albrecht von der Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta und Co.
■ Zinseszinseffekt
Doch auch mathematisch sei die Zahl kein Zufall. Denn ab 100 000 Euro entfalte der Zinseszinseffekt zum ersten Mal spürbare Wirkung. Wer diesen Betrag bei fünf Prozent Rendite im Jahr anlegt, sieht jedes Jahr im Schnitt 5000 Euro Zuwachs – und zwar ganz ohne weiteres Zutun. Das Vermögen wird Albrecht zufolge also spürbar produktiv: „Vorher fühlt sich Sparen oft mühsam an – viel Einsatz, wenig sichtbarer Effekt.“
Noch dazu können 100 000 Euro ein gutes Gefühl von Sicherheit vermitteln. Denn dieser Wert liegt weit über dem durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommen in Deutschland. „Mit dieser finanziellen Pufferzone hat man in der Regel genug, um unvorhergesehene Ausgaben ohne Kredit abzufangen“, sagt Stefanie Dyballa von der KSW Vermögensverwaltung. Wichtig sei dafür aber, dass die Erträge reinvestiert und nicht Jahr für Jahr entnommen werden, um auch wirklich vom Zinseszinseffekt zu profitieren. Denn nur so werden die jährlichen Erträge wieder und wieder verzinst. Gift sind auf dem weiteren Weg auch Umschichtungen und häufige Transaktionen des Vermögens, weil sie Gebühren kosten und Steuerforderungen auslösen können.
■ Kapital verdoppelt
„Wer konsequent investiert, kann die Dynamik exponentiellen Wachstums nutzen“, sagt Karsten Müller. Bei breit gestreuter und auf mindestens zehn Jahre Dauer angelegter Aktienanlage sind zum Beispiel im Schnitt sieben Prozent Rendite pro Jahr drin. Auf diese Weise kann sich das Kapital alle zehn Jahre verdoppeln – sodass aus 100 000 Euro zehn Jahre später schon 200 000 Euro werden, 20 Jahre später rund 400 000 Euro und 30 Jahre später rund 800 000 Euro. Und zwar ganz ohne zusätzliche Einzahlungen.
„Wer parallel weiter spart – zum Beispiel 500 Euro pro Monat –, kann über Dekaden leicht die Million erreichen“, stellt Ortay Gelen vom Vermögensverwalter Axia Asset Management in Aussicht.
■ Jetzt weiter sparen
Finanzielle Freiheit bedeuten 100 000 Euro noch nicht, erklärt Ortay Gelen. Denn wer das Kapital nicht aufzehren möchte, kann eben maximal die jährliche Rendite – von womöglich fünf bis sieben Prozent (5000 bis 7000 Euro) – abzüglich Steuern und gegebenenfalls Solidaritätszuschlag entnehmen. Davon bleiben im schlechtesten Fall nur noch etwa zwischen 3600 und 5040 Euro übrig – deutlich zu wenig, um die jährlichen Lebenshaltungskosten zu decken. „Es gilt also, weiter konsequent dranzubleiben“, sagt Anika Albrecht.
Zum Vergleich: Wer das Geld – ohne weitere Einzahlungen oder Entnahmen – noch 20 Jahre bei einer angenommenen jährlichen Rendite von sieben Prozent pro Jahr arbeiten lässt, kann sich nach dem Beispiel oben bereits über 400 000 Euro Vermögen freuen. Angenommen, die Rendite läge ab diesem Zeitpunkt weiterhin bei fünf bis sieben Prozent, könnten Sparer schon zwischen 20 000 und 28 000 Euro pro Jahr entnehmen, ohne das Kapital aufzuzehren. Dann könnten sie – bereits um die aktuell maximal mögliche Abgabenlast von 27,99 Prozent bereinigt – Monat für Monat von 1200 Euro bis 1680 Euro leben, anstelle von 3600 bis 5040 Euro – pro Jahr.
■ Das richtige Alter
In welchem Alter sollte ich den finanziellen Meilenstein von 100 000 Euro also erreicht haben, um spätestens zum Ruhestand hin sorgenfrei leben zu können? „Das hängt stark vom Einkommen und Sparverhalten ab“, sagt Anika Albrecht. Sie gibt eine Faustregel mit auf den Weg: „Wer mit Mitte 30 diesen Betrag auf dem Konto oder Depot hat, liegt auf einem sehr soliden Kurs.“ Bis zum Alter von 40 Jahren sollte es idealerweise geschafft sein, damit noch genügend Zeit bis zum Ruhestand bleibt, in der der Zinseszinseffekt auf das Vermögen einwirken kann.
Eine Pauschalaussage zu treffen, wäre aber unseriös. Denn zum einen kann eine geringere Restlaufzeit mit höheren Sparraten wettgemacht werden, um später beim gleichen Vermögen zu landen. Zum anderen hängt das individuelle Sparziel ja auch immer davon ab, ob ich im Alter etwa im abbezahlten Eigenheim oder zur Miete wohne, wie hoch die Rente ausfällt, ob weitere Einkünfte fließen und mit welchen Ausgaben Monat für Monat zu rechnen ist. Wer aber früh beginnt, „hat einen massiven Vorteil, weil er weniger eigenes Kapital zur Zielerreichung einbringen muss“, sagt Ortay Gelen.
■ Variable Raten
„Die Erfolgsformel lautet: Früh anfangen, regelmäßig sparen, breit diversifiziert investieren und diszipliniert durchhalten“, sagt Karsten Müller. Wer etwa einen Sparplan einrichtet und so zum Beispiel 500 Euro pro Monat in einen weltweiten Aktien-ETF mit geringen Kosten investiert, kann die magische Marke bei sieben Prozent Rendite pro Jahr rechnerisch nach elf bis zwölf Jahren erreichen. „Mit 1000 Euro monatlich verkürzt sich die Zeit auf sechs bis sieben Jahre“, sagt Müller.
Doch nicht jeder und jede kann einen solchen Betrag Monat für Monat aufwenden. Wer einen groben Anhaltspunkt benötigt und es sich leisten kann, sollte Ortay Gelen zufolge 10 bis 20 Prozent der monatlichen Einkünfte klug anlegen. Auch er rät zum Investment in kostengünstige und breit diversifizierte ETFs.
■ Klotzen statt kleckern
„Wer spät anfängt, muss klotzen statt kleckern.“ Das sagt auch Max Schmutzer von der Stiftung Warentest über den späten Einstieg in die private Altersvorsorge. Ein Rechenbeispiel: „Wer sich für das Alter 100 000 Euro ansparen möchte und vier Prozent Zinsen auf das Ersparte bekommt, muss bei 15 Jahren Laufzeit 400 Euro im Monat zur Seite legen“, sagt Schmutzer. „Wer 30 Jahre Zeit hat, braucht nur 150 Euro im Monat.“ Beides führt am Ende zum Ziel.
Der Unterschied aber ist: Bei der Variante mit längerer Laufzeit beläuft sich das eingesetzte Kapital auf 54 000 Euro, die restlichen 46 000 Euro bis zum Sparziel sind Zins- und Zinseszinserträge. Bei der kürzeren Laufzeit müssen 72 000 Euro aus eigener Tasche aufgebracht werden, also 18 000 Euro mehr.